Recht

Welche Nebenarbeiten dürfen dem Oberarzt in der Klinik übertragen werden?

von Norbert H. Müller, Fachanwalt für Arbeits- und Steuerrecht, und Marc Rumpenhorst, Fachanwalt für Arbeits- und Medizinrecht, klostermann-rae.de

Aus dem Arbeitsvertrag des Oberarztes ergibt sich meist nur der Hinweis, dass die „Beschäftigung als Oberarzt“ vereinbart ist. Doch was ist, wenn eine neue Tätigkeit übertragen oder eine andere Aufgabe verlangt wird, die sich nicht mit den Vorstellungen des Arztes verträgt? Muss der Oberarzt bei Bereitschaftsdiensten aushelfen, wenn im Bereich der Assistenzärzte Engpässe bestehen? Ist der Oberarzt verpflichtet, die Aufgaben des Medizinprodukte- oder Kodierbeauftragten zu übernehmen? Und muss der Oberarzt zustimmen, wenn er als Wahlarzt benannt werden soll?

Was gilt, wenn der Oberarzt neue Aufgaben übernehmen soll?

Im Arbeitsvertrag finden sich allenfalls noch Regeln zu den wechselseitigen Hauptleistungspflichten, der Vergütungspflicht des Krankenhausträgers und der Arbeitspflicht des Arztes. Ferner wird auf geltende tarifvertragliche Regelungen oder Arbeitsvertrags-Richtlinien verwiesen. Im Übrigen wissen beide – Klinik und Oberarzt – zwar recht genau, was sie erwarten dürfen und was von ihnen erwartet wird – doch unerwartete Erweiterungen des oberärztlichen Aufgabengebiets sollte der Oberarzt nicht klaglos akzeptieren.

Wie weit reicht das Direktionsrecht des Arbeitgebers?

Da es kaum möglich ist, sämtliche Tätigkeiten des Oberarzt vertraglich niederzulegen, ist es verständlich, wenn der Arbeitsvertrag die Aufgaben nur rahmenmäßig „als solche des Oberarztes“ beschreibt. Diese allgemeinen Pflichten werden durch Weisungen und Dienstanweisungen der Klinikleitung konkretisiert – dies entspricht dem arbeitgeberseitigen Direktionsrecht. Es ist niedergelegt in § 106 Gewerbeordnung:

  • § 106 Gewerbeordnung (Auszug)

„Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind.“

 

Dieses allgemeine Weisungsrecht konkretisiert die im Arbeitsvertrag beschriebenen Aufgaben und Pflichten. Insofern dürfen durch die Dienstanweisungen keine gänzlich neuen Pflichten übertragen oder bestehende Rechte geschmälert werden. Bei einer fachlichen Umschreibung – „Beschäftigung als Oberarzt“ – kann der Arbeitgeber darüber hinaus sämtliche Arbeiten zuweisen, die dem vereinbarten Berufsbild entsprechen und gleichwertig sind.

Von organisatorischen Anordnungen des Arbeitgebers verschont sind Oberärzte im weisungsfreien Raum der ärztlichen Unabhängigkeit. Insoweit müssen sie keine Weisungen von Nicht-Ärzten annehmen. Diese „Therapiefreiheit“ bezieht sich grundsätzlich auf das einzelne Arzt-Patienten-Verhältnis, während davon unabhängig der Arbeitgeber allerdings Vorgaben hinsichtlich des allgemein angebotenen Leistungsspektrums machen kann.

Aufgaben müssen zum Berufsbild des Oberarztes gehören

Der Arbeitgeber darf bei der Ausübung seines Direktionsrechts nur Fest-legungen treffen, die nicht bereits durch den Arbeitsvertrag bestimmt sind – wie z. B. die Beschäftigung als Oberarzt. Somit dürfen eben auch nur Aufgaben übertragen werden, die zum Berufsbild des „Oberarztes“ gehören und mit der vertraglich geschuldeten Tätigkeit unmittelbar zusammenhängen.

Ein solcher unmittelbarer Zusammenhang liegt regelmäßig nicht vor, wenn die zusätzlich übertragenen Aufgaben einer anderen bzw. weiteren Quali-fikation als der vertraglich geschuldeten Tätigkeit oder einer Fortbildung bedürfen. Nachfolgend sind typische Beispiele aufgeführt, bei denen der unmittelbare Zusammenhang mit der geschuldeten Tätigkeit nicht vorliegt:

  • Der Arbeitgeber überträgt dem Oberarzt die Aufgabe, die Pflichten nach dem Arbeitnehmerschutzgesetz im Bereich der Arbeitssicherheit zu überwachen. Eine solche zusätzliche Tätigkeit dürfte nicht zu den typischen Aufgaben eines Oberarztes gehören.
  • Gleiches gilt auch für die Aufgaben eines DRG-Kodierbeauftragten – zumindest dann, wenn der Oberarzt nicht allein Ansprechpartner für Kodierfachkräfte bei Dokumentationsfragen sein soll, sondern sogar selbst und letztverantwortlich mit der Kodierung beauftragt wird.
  • Der Grund: Die DRG-Kodierung gehört nicht zum Studium bzw. zur Ausbildung eines Arztes. Hierzu hat sich ein eigener Berufszweig etabliert. Somit umfasst die Beschäftigung als Oberarzt nicht auch die Aufgaben einer Kodierfachkraft.
  • Umstritten und durch die Rechtsprechung noch nicht entschieden dürfte die Frage sein, ob die Aufgabe des Medizinproduktegesetz-Beauftragten eine typische (ober-)ärztliche Tätigkeit darstellt und damit zum Berufsbild des Oberarztes gehört.
  • Der Oberarzt darf im Bereich tarifvertraglicher Regelungen (einschließlich AVR) verpflichtet werden, im Rahmen der dem Chefarzt als Nebentätigkeit genehmigten Privatambulanz und in der KV-Ambulanz tätig zu werden – allerdings muss er dabei die sehr engen Vorgaben des Vertragsarztrechts beachten. Da es sich hierbei um Dienstaufgaben des Oberarztes handelt, sind diese mit der nach Tarif geschuldeten Vergütung abgegolten. Daher entstehen keine – zusätzlichen – Vergütungsansprüche gegenüber dem Chefarzt. Ausnahme: Es besteht eine Mitarbeiterbeteiligung nach berufs- oder landesgesetzlichen Bestimmungen.

Oberarzt kann zum Bereitschaftsdienst eingeteilt werden

Wird aber angeordnet, dass der Oberarzt Bereitschaftsdienst leisten muss, handelt es sich um eine generell geschuldete Leistung, die nach tarifvertraglichen Regelungen erbracht werden muss. Die Dienstanweisung konkretisiert lediglich diese Leistungserbringung. Soweit der individuelle Arbeitsvertrag des Oberarztes keine abweichenden Regelungen trifft oder er außertariflich beschäftigt ist, kann er zum Bereitschaftsdienst eingeteilt werden.

Berechtigte betriebliche Interessen müssen vorliegen

Eine derartige Leistungsbestimmung muss allerdings billigem Ermessen entsprechen. Das ist dann der Fall, wenn nach ausführlicher Abwägung die Interessen der Klinik die des Oberarztes überwiegen. Die vom Arbeitgeber ins Feld geführten berechtigten betrieblichen Interessen müssen umso gewichtiger sein, je stärker die Durchsetzung des Direktionsrechts berechtigte und schutzwürdige Interessen des Arbeitnehmers betrifft. Der Umstand, dass während der Bereitschaft überwiegend assistenzärztliche Tätigkeiten anfallen, steht der Zulässigkeit der Anordnung noch nicht entgegen, da es auf eine Gesamtbetrachtung der Beschäftigung ankommt.

Unzulässige Leistung nur mit Zustimmung des Oberarztes

Soweit die Dienstanweisung als einseitige Maßnahme unzulässig ist, muss der Oberarzt zustimmen, da es sich um eine ergänzende bzw. ändernde Vereinbarung handelt. Diese dürfte auch der Fall sein, wenn ein Arzt als Wahlarzt benannt werden soll. Grund: Damit werden haftungsrechtliche Risiken übertragen. Der Wahlarzt haftet nämlich nicht nur aus „unerlaubter Handlung“, sondern als Wahlarzt auch aus Vertrag und auch für die bei Wahlleistungspatienten eingesetzten anderen Ärzte (juristisch: „Erfüllungsgehilfen“).

Vorsicht bei der Nichtbefolgung einer Dienstanweisung!

Dienstanweisungen können schriftlich, aber auch mündlich erfolgen. Bei Verweigerung einer – im Nachhinein – rechtmäßigen Dienstanweisung droht allerdings eine Abmahnung. Um eine Abmahnung zu vermeiden, könnte es sich bei Unsicherheiten über die Rechtmäßigkeit einer Dienstanweisung auch empfehlen, dem Arbeitgeber zu erklären, die Anweisung unter dem Vorbehalt ihrer Rechtmäßigkeit zunächst zu befolgen und parallel die Rechtmäßigkeit der Anweisung gerichtlich überprüfen zu lassen.