Recht

Wenn der Patient mit einem Prozess droht: Das sollte der Oberarzt jetzt beachten!

von Rainer Hellweg, Fachanwalt für Medizinrecht, armedis Rechtsanwälte, Hannover, www.armedis.de

Wenn ein Patient nach einer Krankenhausbehandlung mit einem Haftungsprozess droht, kann dies auch den Oberarzt betreffen: Er kann beispielsweise direkt in Anspruch genommen oder zur ärztlichen Stellungnahme aufgefordert werden. Daher ist es wichtig zu verstehen, welche „Dynamik“ beim Patienten entstehen kann und wie ein Arzthaftungsprozess sowie dessen außergerichtliches „Vorspiel“ verlaufen. Verfahrenstaktisch sollte der Oberarzt in dieser Lage keine Fehler begehen! 

Wie geht der Patient eigentlich vor?

Wer sagt dem Patienten eigentlich, dass ein Kunstfehler vorliegen könnte? Nach dem Ende eines Krankenhausaufenthalts hat der Patient zunächst einmal seinen subjektiven Eindruck – z. B. inwieweit Schmerzen bestehen und ob das Behandlungsziel erreicht wurde. Wenn Beschwerden persistieren, ist der Patient unzufrieden. Damit ist aber freilich noch keine Aussage darüber getroffen, ob den Ärzten während des Krankenhausaufenthalts ein Behandlungsfehler unterlaufen ist.

Um zu überprüfen, ob überhaupt Haftungsansprüche geltend gemacht werden sollten, benötigt der Patient eine medizinische Bewertung der diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, die während des vorangegangenen Krankenhausaufenthalts erfolgt sind. An diesem Punkt gibt es für den Patienten mehrere Möglichkeiten:

  • Er kann einen niedergelassenen Arzt konsultieren – etwa den, der ihn ambulant weiterbehandelt. Während früher eine „Kollegenschelte“ verpönt und eher die Ausnahme war („Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus!“), erlebt man heute, dass Ärzte gegenüber Patienten offener über mögliche Behandlungsfehler des Vorbehandlers sprechen.

  • Der Patient holt beim Arzt seiner Wahl ein sogenanntes „Privatgutachten“ ein. Dessen Kosten sind ausschließlich vom Patienten zu tragen und auch im nachfolgenden Prozess in aller Regel nicht erstattungsfähig. In keinem Fall ersetzt das Privatgutachten ein Gerichtsgutachten, das im anschließenden gerichtlichen Verfahren einzuholen ist.

  • Der Patient wendet sich an seine Krankenkasse und erlangt auf diesem Wege ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Der Vorteil für den Patienten: Die Begutachtung ist für ihn kostenlos. Allerdings ist die Qualität dieser Gutachten erfahrungsgemäß auch sehr unterschiedlich.

PRAXISHINWEIS | Zu den Gutachten des MDK sollten Sie wissen: Die Krankenkasse, in deren Auftrag der MDK-Gutachter tätig wird, hat ein Eigeninteresse. Denn wenn letztlich ein Behandlungsfehler bejaht werden sollte, kann die Krankenkasse die Kosten für die Nachbehandlung vom „Schädiger“ ersetzt verlangen. Daher sollten Sie vorsichtig sein beim Umgang mit solchen Gutachtern: Diese sind nicht per se neutral.

 

Ein „scharfes Schwert“ des Patienten besteht darin, dass er theoretisch sogleich Strafanzeige gegen denjenigen Arzt stellen kann, dem ein Behandlungsfehler angelastet werden soll. Denn juristisch gilt: Jeder Heileingriff erfüllt den Tatbestand einer Körperverletzung, wenn er nicht lege artis durchgeführt wird oder bei dem nicht ordnungsgemäß aufgeklärt oder eingewilligt wurde.

Falls der Patient die Staatsanwaltschaft motivieren kann, ein Gutachten einzuholen, wäre auch dieses für den Patienten kostenfrei. Viele Patientenanwälte raten ihren Mandanten jedoch – zu Recht – von einem solchen Vorgehen ab, da der Gebrauch dieses „scharfen Schwerts“ es meist ausschließt, sich doch noch gütlich zu einigen.

Welche Rolle spielt der „Patientenanwalt“?

Einige Klinikärzte beklagen, dass Patienten von ihren Rechtsanwälten erst zu einem Haftungsprozess animiert würden, von dem am Ende vor allem der Advokat finanziell profitiert. Dies mag in einigen Fällen so sein, ändert aber nichts an dem jedem Bürger selbstverständlich zustehenden Recht, einen Anwalt zu konsultieren. Wurde dieser beauftragt, kann der Arzt dies sowieso nicht mehr verhindern und „dazwischengrätschen“. Umso wichtiger ist es dann für den Arzt, sich verfahrenstaktisch klug zu verhalten.

Der Patient schreibt der Klinik: Was tun?

Wenn ein Patient an die Klinik bzw. den Arzt schreibt und ihm darin einen Behandlungsfehler vorwirft und vielleicht sogar Haftungsansprüche erhebt, sollte der Oberarzt kühlen Kopf bewahren. Manche Ärzte sind geneigt, selbst zu antworten und die Sache „geradezurücken“, bevor Juristen ins Spiel kommen. Von einem solchen Vorgehen ist aber dringend abzuraten!

Oberärzte kennen juristische Winkelzüge meist nicht

Grund für die hier geratene Zurückhaltung: Wer als Oberarzt einen Brief an den Patienten schreibt, kennt naturgemäß nicht sämtliche juristische Winkelzüge, die einem später von der Haftpflichtversicherung oder vom Richter „um die Ohren gehauen“ werden können. Wird der Prozess aufgrund der ärztlichen Korrespondenz verloren, könnte die Haftpflichtversicherung die Deckung vermeiden mit dem Argument, der Oberarzt habe die Prozessniederlage verschuldet.

PRAXISHINWEIS | Wenn Sie – oder die Klinikleitung – ein Schreiben des Patienten erhalten, das auf einen Haftungsstreit hindeutet, sollten Sie die Rechtsabteilung einschalten und sich mit der Haftpflichtversicherung abstimmen.

 

Patientenbrief erhalten: Wie geht es dann weiter?

Meist führen die Haftpflichtversicherer die außergerichtliche Korrespondenz mit dem Patienten oder dessen Anwalt zunächst selbst. In diesem Zusammenhang wird der Oberarzt häufig um eine interne fachmedizinische Stellungnahme gebeten – meist zu den medizinischen Aspekten des Vorwurfs eines Behandlungsfehlers sowie hierzu möglichen Gegenargumenten.

Für diese Stellungnahme sollte sich der Oberarzt in seinem eigenen Interesse ausreichend Zeit nehmen. So geht kein medizinisches Argument verloren, das den Prozess wenden könnte.

Patient darf seine Akte einsehen

Muss der Oberarzt dem unzufriedenen Patienten Einsicht in die Behandlungsdokumentation gewähren? Die Antwort ist: Ja! Dem Einsichtsrecht des Patienten kann sich der Arzt nicht widersetzen. Der Patient braucht es nicht zu begründen, wenn er die Akte einsehen möchte. Hier sollten sich Arzt und Klinik daher kooperativ zeigen und dem Patienten keine Steine in den Weg legen – zumal dies vor Gericht keinen guten Eindruck hinterlässt.

Unvorteilhafte Einschätzungen können geschwärzt werden

Das Einsichtsrecht des Patienten erstreckt sich auf alle objektiven Befunde, nicht aber auf lediglich subjektive Wertungen der behandelnden Ärzte. Kränkende Bewertungen wie z. B. die Titulierung des Patienten als „schwierig“ oder als „Querulant“ oder unvorteilhafte Einschätzungen können daher geschwärzt werden. Besonderheiten gelten bei psychiatrischen Patienten, wenn Bedenken gegen eine Offenlegung der Befunde bestehen.

PRAXISHINWEIS | Dem Patienten muss gestattet werden, entweder in die Originalakte in der Klinik Einsicht zu nehmen, oder man überlässt ihm Kopien der Behandlungsakte. Letzteres kann davon abhängig gemacht werden, dass der Patient zuvor die entstehenden Kopierkosten erstattet.

 

Wer vertritt den Oberarzt im Prozess?

Vor dem Landgericht herrscht Anwaltszwang. Hier muss der Oberarzt also anwaltlich vertreten werden, wenn ihn der Patient – etwa zusätzlich zum Krankenhausträger – verklagt hat. Regelmäßig wird die für die Klinik zuständige Haftpflichtversicherung auch für den Oberarzt den Anwalt stellen.

Im Prozess ist es jedoch möglich, dass die Interessen von Klinikträger und Oberarzt auseinanderfallen. Dies ist etwa der Fall bei einem umfangreichen Prozess mit großen Haftungssummen – also dann, wenn die Klinik einen „Schuldigen“ sucht. Hier ist dem Oberarzt zu empfehlen, sich einen eigenen Anwalt zu suchen, der ausschließlich seine Interessen vertritt.