Aus der Praxis: Muster für die Vorbereitung eines Oberarztes auf sein Jahresgespräch

von Diplom-Pädagoge Werner Fleischer, Beratung – Coaching – Moderation, www.ihrcoach.com

Wer sich als Oberarzt gut auf sein Mitarbeiter-Jahresgespräch mit dem Chefarzt vorbereitet, ist eindeutig im Vorteil: Er verschafft sich Klarheit über sein Arbeitsfeld und wird zugleich von seinem Chef als Gesprächspartner auf Augenhöhe wahrgenommen. Das nachfolgende Muster basiert auf einer Unterlage, die ein Oberarzt einer Orthopädischen Klinik erstellt hat, um sich auf sein für Ende 2014 geplantes Mitarbeiterjahresgespräch vorzubereiten. Er hatte seit zwei Jahren die Facharztausbildung abgeschlossen und war danach seit wiederum knapp zwei Jahren in seiner jetzigen Position tätig. 

  • Muster eines Oberarztes zur Vorbereitung auf ein Jahresgespräch

1. Reflexion des Aufgabengebietes

Einen wesentlichen Teil meiner Arbeitszeit in der Klinik verbrachte ich mit den nachfolgend aufgeführten Kernaufgaben:

 

  • Mentoring der beiden Ausbildungsassistenten:
    • Routineaufgabe
    • Probleme mit einem Ausbildungsassistenten aufgrund seiner massiven Motivationsschwierigkeiten
  • Vorbereitung der Zertifizierung zum Endoprothesenzentrum:
    • Neue Aufgabe
    • Verlauf entsprechend des vorgegebenen Projektplans
  • Verbesserung des Aufnahme- und Entlassmanagements (gemeinsam mit dem Chefarzt entwickeltes und durchgeführtes Projekt):
    • Neue Aufgabe
    • Verlauf wie geplant
  • Durchführung eines Patientenabends zum Thema Hüft-Endoprothetik:
    • Routineaufgabe
    • Erfolgreich durchgeführt mit 36 Teilnehmern

 

2. Zufriedenheit am Arbeitsplatz

Teilweise war die Grenze meiner Belastbarkeit erreicht. Dies hat vor allem zwei Gründe: die gestiegenen Fallzahlen sowie der erhöhte Krankenstand bei den Assistenten meiner Abteilung.

 

  • Besondere Highlights des vergangenen Jahres:
    • Zertifizierungsaudit zum Endoprothesenzentrum
    • Durchführung der ersten selbstständigen Operationen des minimalinvasiven Protheseneinsatzes
  • Schwierigkeiten im vergangenen Jahr:
    • Umgang mit einem demotivierten Assistenten
    • hohe Überstundenzahl (zulasten meiner Familie)
  • Bewertung der Zufriedenheit (1 = nicht zufrieden; 6 = sehr zufrieden):
    • Arbeitsinhalte: 5
    • Arbeitsbelastung: 2 (zum Teil dauerhafte Überlastung)
  • Motivationsfaktoren:
    • Zertifizierungsprojekt des Endoprothesenzentrums gut gelungen
    • Ich habe durch das Projekt Akzente bei Oberarzt-Kollegen und Assistenten setzen können
  • Demotivationsfaktoren:
    • Aufgrund der schlechten Erreichbarkeit des Chefarztes gab es keine ausreichenden Möglichkeiten zur Abstimmung, daher habe ich das Gefühl, auf mich selbst gestellt zu sein
    • Wunsch: Regelmäßige Gespräche mit dem Chefarzt (alle 14 Tage für je 30 Minuten)
  • Verhältnis zu Oberarzt-Kollegen:
    • Bin voll im Team integriert
    • Manche Oberärzte helfen einander, mit verschiedenen Kollegen treffe ich mich auch in der Freizeit, mit ihnen gute fachliche Zusammenarbeit
    • Wegen des Drucks, den alle erleben, fehlt es bei einigen Kollegen aber an Solidarität: Dann kämpft jeder für sich allein!
  • Verhältnis zu Mitarbeitern:
    • Gut akzeptiert bei Kollegen
    • Gutes Verhältnis zu Pflegekräften
    • Ausnahme: motivationsloser Assistent
  • Verhältnis zum Chefarzt
    • Chef hat hohes Vertrauen in meine fachliche und medizinische Kompetenz, daher delegiert er entsprechende Aufgaben an mich
    • Weil einige Aufgaben neu sind, wäre mehr Unterstützung hilfreich
    • Die enge Zusammenarbeit bei der Optimierung des Aufnahme- und Entlassmanagements hat viel Spaß gemacht und einen guten Lerneffekt bei meinem betriebswirtschaftlichen Know-how bewirkt
    • In dringenden Fällen hat der Chefarzt immer ein offenes Ohr

3. Auswertung des Grades der Zielerreichung

Die Zertifizierung zum Endoprothesenzentrum wurde – wie geplant – am 30. Oktober 2014 abgeschlossen. Hier habe ich hohen persönlichen Einsatz gezeigt und gelernt, mich selbst zu organisieren. Die weiteren Punkte:

 

  • Optimierung des Aufnahme- und Entlassmanagements:
    • Verläuft entsprechend des Projektplans
    • Habe Einblicke in betriebswirtschaftliche Zusammenhänge gewonnen
    • Ich kann nun besser die Interessen und Positionen der anderen Abteilungen in unserem Krankenhaus verstehen
  • Patientenabend wurde durchgeführt und erhielt sehr gutes Feedback:
    • Sehr erleichternd war die Unterstützung der Oberarzt-Kollegen
    • Hilfe z.B. mit der Anleitung für meine Power-Point-Folien
  • Das Mentoring der Assistenten ist noch nicht abgeschlossen:
    • Im Umgang mit dem motivationslosen Assistenten sehe ich keine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen
    • Unterstützung des Chefarztes ist dringend erforderlich
    • Wunsch: Dreier-Gespräch mit Assistent, Chefarzt und mir
    • Zeitrahmen: innerhalb der nächsten vier Wochen

4. Maßnahmen zur Entwicklung meiner Leistungsfähigkeit

Die folgenden Maßnahmen wurden vereinbart und umgesetzt. Zugleich bewerte ich den Effekt der Maßnahme.

 

  • Meine Teilnahme am Oberarzt-Workshop zu grundlegenden Führungsfragen war sehr hilfreich
  • Anleitung des Chefs bei minimalinvasiven Operationen gab mir sehr viel Sicherheit – training on the job

 

5. Kernaufgaben im nächsten Zeitraum

Als Kernaufgaben im kommenden Jahr möchte ich dem Chefarzt Folgendes vorschlagen (Achtung: eventuell der Gesprächssituation anpassen!):

 

  • Optimierung meines Führungsstils:
    • Ich möchte lernen, differenzierter zu führen und meinen Führungsstil stärker an die Möglichkeiten der Mitarbeiter anzupassen
    • Das heißt: Ich versuche, nicht nur kooperativ zu führen, sondern auch zu delegieren und zu kontrollieren
  • Ich will mir Kompetenzen bei den digitalen Spracherkennungssystemen für die Erstellung von Arztbriefen aneignen

 

6. Ziele im nächsten Zeitraum

Im kommenden Jahr habe ich mir folgende Ziele gesetzt:

 

  • Knie-Endoprothesen:
    • Bis zum 15. Dezember 2015 bin ich in der Lage, unter Supervision des Chefarztes Knie-Endoprothesen einzusetzen
  • Minimalinvasive Hüft-Endoprothesen:
    • Ab 2015 setze ich selbstständig minimalinvasive Hüft-Endoprothesen ein
    • Der Chefarzt oder ein Oberarzt-Kollege stehen mir als Mentor zur Seite

 

7. Entwicklung der eigenen Leistungsfähigkeit

Ich möchte meine Überstunden zurückfahren, also meine Arbeit in der vereinbarten Zeit erledigen. Hierzu strebe ich Entlastung und/oder ein Coaching an. Eine weitere Steigerung der Leistungsfähigkeit ist nicht mehr möglich!

8. Längerfristige Perspektiven

Als längerfristige Ziele werde ich in dem Gespräch anführen:

  • In einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren möchte ich mich zum Senior-Operateur im Endoprothesenzentrum entwickeln
  • Langfristig möchte die schaffende Position des geschäftsführenden Oberarztes besetzen. Hierbei würde ich den Chefarzt entlasten