Grober Behandlungsfehler: Keine Blutzuckerbestimmung beim Neugeborenen
Die unterlassene Blutzuckerbestimmung in einer lebensbedrohlichen Situation am ersten Lebenstag eines Kindes kann als grober Behandlungsfehler zu werten sein.
Bei einer schweren geistigen und körperlichen Beeinträchtigung eines Kindes, die niemals ermöglicht, ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, kann ein Schmerzensgeld von 500.000,-€ angemessen sein, urteilte das Oberlandesgericht Hamm.
Die Kaiserschnitt-Geburt des heute zwölfjährigen Kindes verlief komplikationslos. Im Anschluss an die Entbindung traten kurzzeitig Anpassungsstörungen auf, die mit Sauerstoff-Gabe behoben werden konnten. Die Apgar-Werte wurden mit 7, 9 und 10 angegeben. Das Kind wurde per Monitor im Kreißsaal überwacht, die Werte wurden mit „ohne Befund“ dokumentiert. Um 14:12 Uhr wurde eine Blutgasanalyse bei der Klägerin durchgeführt. Auch weitere Untersuchungen ergaben in der Folge keinen Befund. Zwischen 17:31 Uhr und 1:30 Uhr wurde übereinstimmend dokumentiert, dass das Kind schlafe und rosig aussehe.
Gegen 3:50 Uhr traten Komplikationen auf. In der Dokumentation ist festgehalten, dass das Baby schlapp und an Händen und Füßen blau war. Die Ärzte führten eine Reanimation durch. Es traten in den ersten beiden Stunden cerebrale Krampfanfälle bei ausgeprägter Hypoglykämie auf. Der Blutzuckerwert wurde erstmals nach der um 05:40 Uhr erfolgten Aufnahme in der Kinderklinik gemessen; er lag um 06:33 Uhr bei 15 mg/dl. Die Blutzuckerwerte der Klägerin stabilisierten sich nach Glukosezufuhr.
Das Mädchen ist heute hör- und sehbehindert und erheblich in der Entwicklung verzögert; es wurde ein Grad der Behinderung von 100 festgestellt.
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 4.12.2018 – 26 U 9/16
[!] Die Verantwortung für solch einen groben Behandlungsfehler am ersten Tag nach der Geburt kann auch den Gynäkologen, der als Belegarzt tätig ist, treffen.