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Ihre Klinik wird privatisiert: Was heißt das für den Oberarzt? – ein kritischer Kommentar (Teil 1)

In einer Zuschrift an die Redaktion setzt sich ein Oberarzt kritisch mit der Privatisierung von Kliniken auseinander. Wir respektieren seinen Wunsch, wegen seiner zugespitzten Zeilen anonym bleiben zu wollen, möchten seine pointierte Bestandsaufnahme jedoch nicht vorenthalten und drucken Teil 1 des Briefs daher ab.  Die Zuschrift gibt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. 

Die Bedeutung des Oberarztes wird sich wandeln

Ihre Klinik wird jetzt auch privatisiert? Willkommen in der Welt der Konzernmedizin! Während früher die Verwaltung allenfalls eine „schwarze Null“ anstrebte – Investitionen wurden ja vom Staat, Verluste von den Krankenkassen getragen – zählen heute vor allem Umsatz und Gewinn. Und das nicht nur bei Klinikkonzernen. Um die Gewinnquote ist unter den Konzernen ein scharfer Wettbewerb entbrannt. „Nur 12 Prozent Ebitda? Warum nicht 14 oder 18 Prozent, das schafft doch auch unser Wettbewerber XY!“, hört man da.

Sollten Sie ein Krankenhaus noch als soziale Einrichtung ansehen, ist es höchste Zeit aufzuwachen. Auch Sie als Oberarzt sind künftig nicht mehr nur Arzt, sondern Teil eines Leistungsanbieters auf dem Gesundheitsmarkt.

Ihre Bedeutung als Oberarzt lag bisher vor allem in Ihrer medizinischen und menschlichen Kompetenz? Von beidem profitierten Ihre Patienten, Ihre Kollegen, Ihre Abteilung. Das wird sich ändern. In Zukunft werden Sie auch daran gemessen, ob und in welcher Form Sie mit Ihrer Arbeit zum Erlös, d. h. zu Gewinn oder Verlust, beitragen. Freilich bleiben die Fähigkeiten, die Sie auf die Oberarzt-Ebene gebracht haben, wichtig. Aber Sie werden merken, dass auch die Frage, ob Ihre Arbeit „erlösrelevant“ ist, immer wichtiger wird.

Top-Leistung allein wird bald nicht mehr genügen …

Sie können als Anästhesist, Gynäkologe oder Radiologe Top-Leistungen abliefern. Doch relevant ist diese vor allem, wenn sie profitabel abrechenbar ist. In den Aufstellungen betriebswirtschaftlicher Daten der einzelnen Krankenhausabteilungen, auf die Krankenhausmanager ständig mit Argusaugen blicken, tauchen z. B. Abteilungen wie die Anästhesie, die Radiologie, das Labor, die Pathologie und die Notaufnahme mitunter gar nicht mehr auf.

… die Leistung muss vor allem „erlösrelevant“ sein

Das liegt daran, dass insbesondere die bettenführenden, also „erlösrelevanten“ Abteilungen zählen. Die anderen findet man höchstens unter „sonstige Kosten“. Ist das gerecht? Wohl kaum, aber darum geht es nicht immer. Manche Abteilungen haben den Status von ,„Serviceabteilungen“ oder Versorgern. Die Leistung muss innerhalb bestimmter Grenzen stimmen, und sie darf möglichst wenig kosten. Doch wofür ist das wichtig?

Tarifvertrag für Oberarzt-Gehalt immer unwichtiger

Nicht zuletzt bei den Oberarzt-Gehältern trennt sich die Spreu vom Weizen. Sie glauben, diese würden vom Tarifvertrag geregelt? Leider stimmt das nicht. Hunderte von Oberärzten, die nach den Marburger-Bund-Tarifverträgen kommentarlos nur als „Fachärzte“ eingruppiert wurden, erzählen eine andere Geschichte.

Für die meisten von ihnen dürfte sich auch der Weg über die Arbeitsgerichte nicht lohnen, denn nicht zuletzt das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich zusätzliche Eingruppierungskriterien ausgedacht, an die noch nicht einmal die Tarifvertragsparteien gedacht haben können. Jedenfalls steht davon nichts in den Tarifverträgen (vgl. z. B. Urteil vom 17.11.2010, Az. 4 AZR 188/09 und den Beitrag in OH 06/2016, Seiten 4 bis 6).

Oberarzt-Gehalt ist manchmal frei verhandelbar

Ganz anders sieht die Sache aus, wenn Sie z. B. Eingriffe beherrschen, die einerseits gerade gut bezahlt werden und die idealerweise nicht einmal Ihr Chef beherrscht. Das macht Sie zu einem ausgesprochen werthaltigen Mitarbeiter. In diesen Fällen können Sie Ihr Gehalt praktisch frei verhandeln. Sie sind mit Ä3 nicht zufrieden? Fordern Sie einfach eine höhere Stufe. Oder fordern Sie gleich Ä4. Sie werden es bekommen, obwohl ein anderer Kollege längst Chef-Vertreter ist und nach dem Tarifvertrag nur einer Ä4 sein kann.

In der „neuen Welt“ spielen Tarif-Regelungen kaum eine Rolle. Während im alten Bundesangestelltentarif (BAT) allenfalls vorzeitige Aufstiege möglich waren – ggf. über Verfügungen, die z. B. Unterstellungen von Mitarbeitern regelten -, können Sie jetzt Bonuszahlungen in beliebiger Höhe verhandeln. Sollte man Ihren Erwartungen nicht entsprechen, gehen Sie eben woanders hin. Oft reicht eine Drohung. Diese Dinge regelt nun „der Markt“.

Einige Oberärzte werden nur als „Facharzt“ bezahlt

Viele andere Oberärzte können sich darauf einstellen, dass sie nur als Fachärzte bezahlt werden. Das ist natürlich nicht nur ein finanzielles Problem, denn es geht auch um Dinge wie Anerkennung und Motivation, die dadurch negativ beeinflusst werden. Auch Nachtdienste, Wochenendbereitschaften, Feiertagsarbeit und Rufbereitschaften werden damit automatisch schlechter bezahlt. Wer hartnäckig protestiert, dem werden allenfalls kleinere Zulagen gewährt, die oft widerwillig erfolgen und jederzeit eingestellt werden können.

PRAXISHINWEIS | Bei Gehaltsforderungen wird man Ihnen entgegenhalten, die Klinik habe Ihnen „keine medizinische Verantwortung für einen Teilbereich der Klinik übertragen“, wie es in den Tarifverträgen heißt. Genaugenommen erfüllen kaum Oberärzte dieses Kriterium. Das hat aber auf die Entscheidungen der Klinikverwaltungen und Personalabteilungen nur wenig Einfluss. Und auch die Arbeitsgerichte sind in dieser Frage nicht auf Ihrer Seite. Am Ende liegt es an Ihnen, ob und wie Sie sich damit abfinden, dass Sie mehr oder weniger wert als andere sein sollen – unabhängig von Ihrer fachlichen Kompetenz und Ihrem Ruf als Oberarzt. In der „freien Wirtschaft“ gelten einfach andere Bedingungen.

Auch der Chefarzt muss sich umstellen

Die neuen Zeiten bekommt auch Ihr Chef zu spüren. Dieser ist in besonderer Weise der Macht des Klinikmanagements ausgesetzt, denn er steht künftig nicht nur gerade für die medizinischen Entscheidungen, die in seiner Abteilung getroffen werden, sondern vor allem auch für die Wirtschaftszahlen. Und er hat keine Verbündeten. Die anderen Chefärzte sind in erster Linie Konkurrenten um Geld, Personal und die Gunst der Geschäftsleitung.

Der Ärztliche Direktor, in früheren Zeiten die „Graue Eminenz“ eines Krankenhauses, hat zwar noch gewisse repräsentative Aufgaben und einige – mitunter heikle – Verantwortlichkeiten z. B. für Hygiene, Strahlenschutz oder CME-Überwachung. Einen Großteil seiner sonstigen Kompetenzen hat er jedoch verloren. Die maßgebliche Instanz ist der Geschäftsführer, wobei man manchmal den Eindruck hat, er könnte genauso eine Autowerkstatt oder ein Schnellrestaurant leiten.

Nach dem Chef kommt erstmal nichts …

Während in vielen Kliniken vor der Privatisierung Chefstellen gar nicht mehr besetzt und Hierarchien gewollt oder ungewollt flacher wurden, wird in den Konzernen das Gegenteil praktiziert. Genauso wie der Geschäftsführer Alleinherrscher im Krankenhaus ist, gibt es in den Abteilungen „den Chef“ – und dann erstmal nichts. Wie zu früheren Zeiten. Häufig ist nicht einmal der Vertreter des Chefs, also der leitende Oberarzt, in wichtige Dinge eingeweiht. Die Oberärzte rangieren unter „ferner liefen“, es sei denn, jemand unter ihnen hat spezielle, lukrative Fähigkeiten oder kann zumindest als Operateur für eine Steigerung der OP-Zahlen sorgen. Dann wird er wieder wichtig.

Loswerden kann man renitente Chefärzte immer

Sollte Ihr Chef noch einen alten Chefarzt-Vertrag haben – vielleicht sogar mit Liquidationsrecht -, können Sie davon ausgehen, dass dieser bald Geschichte sein wird. In der Regel gibt es beim Wechsel in die Privatisierung neue Chefarzt-Verträge, und wer seinen nicht unterschreibt, wird freigesetzt. Es wird sogar gemunkelt, dass renitenten Chefärzten im Zweifel etwas „angehängt“ wird, damit man sie schneller loswerden kann. Und sollte das nicht funktionieren, gab es schon Fälle, in denen kurzerhand die ganze Abteilung geschlossen wurde oder fusionierte. Der Effekt ist derselbe.

Poolbeteiligung für Oberärzte fällt weg

Mit den neuen Chefarzt-Verträgen geht das Recht zur Privatliquidation vom Chefarzt auf die Klinik über. Welchen Anteil Ihr Chef von diesen Privaterlösen sieht, wissen Sie als Oberarzt natürlich nicht. Möglich ist eine prozentuale Beteiligung oder eine Bonusregelung, in die die Privaterlöse einfließen. Was Sie jedoch sofort merken, ist der Wegfall Ihrer Poolbeteiligung. Vor Gericht haben Sie kaum eine aussichtsreiche Chance, sich hiergegen zu wehren -siehe hierzu auch den Beitrag in OH 01/2015, Seiten 12 bis 14 (Anm. d. Red.) -, selbst wenn in der Ärzteordnung Ihres Bundeslandes etwas anderes festgeschrieben sein sollte. So wirkt sich der neue Vertrag ihres Chefarztes unmittelbar einkommensmindernd bei Ihnen aus.

Das hindert aber weder Ihren Chefarzt noch Ihre Klinik daran, Sie als Oberarzt für die Versorgung der Privatpatienten heranzuziehen. Manche Kliniken setzen ihre Oberärzte ungefragt auf die Wahlarztliste, die Teil der Vertragsunterlagen mit den Privatpatienten ist. Damit sind Sie der verantwortliche Wahlarzt, und man wird Sie fragen, warum Sie im einen oder anderen Fall die Behandlung nicht persönlich erbracht haben. Manche Chefs erklären kurzerhand, sie hätten mit den Privatpatienten gar nichts mehr zu tun; das sei Aufgabe der Oberärzte – allerdings, wie geschildert, ohne einklagbaren Anspruch auf zusätzliche Vergütung.

Chefarzt-Verträge: Was steht wirklich drin?

Was bei Ihrem Chef sonst noch in seinem Arbeitsvertrag oder in seiner Bonusregelung steht, wissen Sie als Oberarzt selbstverständlich auch nicht. Obwohl ein Zusammenhang zwischen Operationsarten bzw. -zahlen und Bonuszahlungen für Chefärzte vehement von Krankenhäusern und Klinikkonzernen bestritten wird und man beteuert, man halte sich an die Vorgaben der Bundesärztekammer, kann man das Gegenteil auch nicht ausschließen. Die Verträge sind ja nicht öffentlich.

Aber nicht selten rufen Häufungen bei bestimmten Operationen und auch bestimmte, immer wiederkehrende Operationsentscheidungen zumindest ein Stirnrunzeln hervor. Das gilt insbesondere, wenn diese in einem auffälligen Zusammenhang mit schlechten Ergebnissen und hohen Komplikationsraten bzw. einer hohen Mortalität stehen, über die die Patienten sicherlich nicht aufgeklärt werden.

Niemandem soll unterstellt werden, dass er für Geld unnötige oder unnötig gefährliche Eingriffe macht, aber der Beweis für das Gegenteil ist auch nicht erbracht. Außerdem ist der wirtschaftliche Druck bekanntermaßen enorm, und mittels geheimer Bonusvereinbarungen wäre zumindest theoretisch allen Arten von Schindluder Tür und Tor geöffnet.

Rolle der Privatpatienten erlebt eine Renaissance

Die Rolle der Privatpatienten hat mit dem Einzug der Konzerne ebenfalls eine Renaissance erlebt. Vor ein paar Jahren war noch in der Politik von der Abschaffung der Privatpatienten die Rede. Das ist offenbar vorbei. Im Gegenteil, kein Patient ist den Privaten so wichtig wie der Privatpatient. Jede Akte eines Privatpatienten wird mehrfach gekennzeichnet, damit es auch ja niemandem entgeht. Es werden sogar Luxusstationen mit Hotelcharakter eingerichtet, um dem zahlenden Publikum auch in der Klinik etwas Besonderes zu bieten.

Die Versorgung dieser besonders anspruchsvollen Klientel obliegt insbesondere auch am Wochenende oder an Feiertagen Ihnen als Oberarzt. Stellen Sie sich darauf ein, dass Sie das für einen Lohn tun werden, für den Sie am Wochenende keinen Handwerker zu sich nach Hause bekommen dürften.