Medizin

Mangelernährung im Krankenhaus – ein tödliches Risiko

Mangelernährung in deutschen Krankenhäusern betrifft jeden vierten bis fünften Patienten und bleibt oft unbehandelt. Mit fatalen Folgen: Die Sterblichkeit mangelernährter Patientinnen und Patienten ist um das Dreifache erhöht und die stationären Mehrkosten belaufen sich jährlich auf bis zu 8,6 Milliarden Euro. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e.V. (DGEM) sieht dringenden Handlungsbedarf und fordert verpflichtende Maßnahmen zur Bekämpfung der Mangelernährung.

Anlässlich der Malnutrition Awareness Week 2024 (MAW) informiert die DGEM über Risiken, Fakten und Lösungsansätze. Die Fachgesellschaft fordert dabei erneut ein systematisches Screening auf Mangelernährung.

Das unterschätzte Problem Mangelernährung

In Deutschland sind 20 bis 30 Prozent aller Krankenhauspatientinnen und -patienten von Mangelernährung betroffen. Insbesondere Menschen mit chronischen oder schweren Erkrankungen und ältere Menschen leiden darunter. Professor Dr. med. Matthias Pirlich, Vizepräsident der DGEM und niedergelassener Endokrinologe und Ernährungsmediziner in Berlin, betont die Dringlichkeit des Problems: „Mangelernährung ist kein Randproblem. Sie führt vielfach zu Komplikationen in der Behandlung und mindert die Lebensqualität der Betroffenen erheblich.“ Die stationäre Verweildauer steigt bei mangelernährten Patientinnen und Patienten um über 40 Prozent, was zu massiv höheren Behandlungskosten führt. „Im Jahr 2023 belaufen sich die Mehrkosten durch Mangelernährung auf bis zu 8,6 Milliarden Euro. Diese Zahlen machen deutlich, dass Mangelernährung für das Gesundheitssystem eine erhebliche Belastung darstellt“, so Pirlich.

Lösungsansätze und Forderungen der DGEM

Um die dramatischen Folgen der Mangelernährung in Deutschland einzudämmen, setzt die DGEM auf verpflichtende Maßnahmen. Seit Januar 2024 gibt es erstmals Qualitätsverträge für Krankenhäuser, die in Kooperation mit Krankenkassen umgesetzt werden können. Dr. med. Gert Bischoff, Präsident der DGEM und Leitender Arzt am „Zentrum für Ernährungsmedizin und Prävention – ZEP“ in München, sieht darin eine große Chance: „Diese Qualitätsverträge ermöglichen es, die Versorgung der Patientinnen und Patienten signifikant zu verbessern und ein Ernährungsteam zu finanzieren. Leider nutzen bisher nur wenige Kliniken diese Möglichkeit, da die strukturellen Voraussetzungen fehlen.“ Bischoff fordert daher, dass alle Krankenhäuser verpflichtend über qualifizierte Ernährungsteams verfügen sollten, um flächendeckend die Versorgung sicherzustellen.

Die DGEM sieht weitere Herausforderungen bei der Qualität der Krankenhausverpflegung. Aktuell belaufen sich die täglichen Ausgaben für die Verpflegung eines Patienten häufig lediglich auf 5 bis 6 Euro. „Eine qualitativ hochwertige Ernährungsversorgung kann so kaum gewährleistet werden. Wir brauchen klare Verpflegungsstandards und eine solide finanzielle Grundlage für die Klinikkost,“ so Bischoff.

Warum Mangelernährung tödlich sein kann

Mangelernährung wirkt sich direkt auf die Gesundheit der Betroffenen aus. Sie schwächt das Immunsystem, führt zu einem Verlust der Muskelmasse und verlängert die Genesungszeit. Bei Menschen im Krankenhaus sind diese Auswirkungen besonders fatal: Schätzungen zufolge sterben jedes Jahr rund 200.000 mangelernährte Patientinnen und Patienten. „Ein systematisches Ernährungsmanagement könnte jährlich rund 55.000 Todesfälle vermeiden“, sagt Pirlich. Eine individuell angepasste Ernährungstherapie hat zudem das Potenzial, die Gesamtkosten der Behandlung zu senken, da weniger Komplikationen und Wiederaufnahmen ins Krankenhaus auftreten. „Mangelernährung ist kein unvermeidliches Schicksal. Durch gezielte Maßnahmen können wir das Problem an der Wurzel bekämpfen und den Betroffenen zu einer besseren Lebensqualität verhelfen“, betont Bischoff abschließend.

Malnutrition Awareness Week 2024

In der Woche vom 11. bis 15. November 2024 macht die DGEM im Rahmen der europaweiten „Malnutrition Awareness Week“ gemeinsam mit zahlreichen Kooperationspartnern auf die Problematik der krankheitsbezogenen Mangelernährung aufmerksam. Die „Malnutrition Awareness Week“ ist Teil der ONCA-Initiative (Optimal Nutritional Care for All) und zielt darauf ab, evidenzbasierte Therapieansätze für Mangelernährung im Gesundheitswesen zu etablieren.

Die DGEM und ihre Partnerorganisationen laden ein, sich bei einer Vielzahl von Veranstaltungen zum Thema zu informieren und aktiv an den Diskussionen teilzunehmen. Auf der Website https://mangelernaehrung-bekaempfen.de können Sie sich über die vielfältigen Angebote und Veranstaltungen informieren. „Durch diese Veranstaltungen wollen wir das Bewusstsein für die Bedeutung einer evidenzbasierten Ernährungsversorgung in den Strukturen des Gesundheitswesens schärfen“, so Pirlich.

Quellen:

1. Volkert D, Weber J, Kiesswetter E et al. Ernährungssituation in Krankenhäusern und Pflegeheimen – Auswertung der nutritionDay-Daten für Deutschland. Deutsche Gesellschaft für Ernährung (Hrsg.): 14. DGE-Ernährungsbericht. Bonn (2020), pp 199-258.

2. Curtis LJ et al. Costs of hospital malnutrition. Clin Nutrition. 2017; 36: 1391-1396

3. Gomes F et al. Association of nutritional support with clinical outcomes among medical inpatients who are malnourished or at nutritional risk. JAMA open 2019.

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6902795/

4. Schuetz P et al, Cost savings associated with nutritional support in medical inpatients: an economic model based on data from a systematic review of randomized trials. BMJ Open 2021

5. Ernährungsmedizin im Krankenhaus stärken: Vorschläge für eine Verbesserung der Struktur- und Prozessqualität

Pressekonferenz der DGEM , Berlin, 12.11.2024