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Sexuelle Belästigung im Krankenhaus: Ein Report nennt Zahlen

Zum ersten Mal hat Medscape einen detaillierten Report zu sexueller Belästigung in Kliniken und Praxen in Deutschland durchgeführt. Die Berichte, die Ärzte, Ärztinnen und Pflegepersonal in der großen Umfrage anonym geschildert haben, sind beunruhigend und bisweilen schockierend.

Über 1.000 Personen haben an der Online-Umfrage teilgenommen, in erster Linie Ärztinnen und Ärzte, knapp ein Fünftel davon Assistenzärztinnen und -ärzte. Für diesen Report über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz befragte Medscape auch Krankenpfleger und Krankenschwestern. Die Ergebnisse der Auswertung des umfangreichen Fragebogens, der in den Monaten Juni bis September 2019 zur Beantwortung stand, zeichnet ein detailliertes Bild über Belästigungen verschiedener Art: Von aufreizender Anmache bis hin zu Grabschen und sogar Vergewaltigungen – ein großes Spektrum von übergriffigen Verhaltensweisen, die im Arbeitsumfeld des Gesundheitswesens stattfinden.

Jeder Mensch hat – abhängig vom kulturellen Hintergrund und Erziehung – andere Vorstellungen, was man als sexuelle Belästigung oder Missbrauch einstufen sollte. Definiert wurden neun verschiedene Arten der sexuellen Belästigung. Das Spektrum geht von anzüglichen E-Mails bis hin zur Vergewaltigung.

Patienten als Aggressoren

Die Übergriffe auf Ärztinnen und Ärzte kommen drei Mal häufiger von Patienten als aus dem Kollegenkreis, von medizinischem Personal oder von Verwaltungsangestellten.

Die Frage, ob einer ihrer Patienten in den vergangen drei Jahren eine sexuell übergriffige Verhaltensweise an den Tag gelegt hat, entweder direkt in Ihrem Arbeitsumfeld oder auch außerhalb, bejahen 24% der Ärztinnen und Ärzte. Noch drastischer fällt die Antwort bei Krankenpflegern/-innen aus: 38% habe solche Belästigungen von Patienten in den vergangenen drei Jahren erlebt. Zum Vergleich: Nur 10% erlebten diese von Kollegen, von medizinischem Personal oder von Verwaltungsangestellten.

Eine Assistenzärztin hatte während ihrer Weiterbildung in der Klinik einige unangenehme Situationen mit Patienten erlebt: „Unangemessene Berührungen bei körperlicher Untersuchung oder Mobilisation, Bitten um Untersuchung im Genitalbereich. Zum Patientengespräch lag der Patient nackt mit gespreizten Beinen im Bett und bat darum, mich zu ihm zu setzen.“ Häufig seien dies ältere Patienten gewesen, die noch den Kommentar anhängten: „Wenn ich noch jünger wäre …“

Aber sie kennt auch die Fragen von jüngeren Patienten in der Notaufnahme nach ihrer Telefonnummer oder nach einem Date. Und wie reagierte sie dann? „Es ist erstaunlich, wie leicht es fällt, sich dem „hierarchisch unterlegenen“ Patienten gegenüber energisch zur Wehr zu setzen, während man gegenüber Vorgesetzten quasi erstarrt und alles über sich ergehen lässt“, sagt die Medizinerin.

Diese Übergriffe haben Ärztinnen und Ärzte dieser Umfrage in den vergangenen drei Jahren erlebt:
• Am häufigsten wurden sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch Ärztinnen nach einem Date gefragt. Jeder 2. hat eine solche Einladung von einem Patienten bekommen.
• 40% der Ärztinnen mussten unliebsame Berührungsversuche abwehren. Aber nur 14% der Männer.
• Relativ häufig sind sexuelle Annäherungsversuche jeglicher Art. Mehr als ein Drittel aller weiblichen aber auch männlichen Kollegen erlebten dies in ihrem Joballtag.
• Eindeutige Fragen und Aufforderungen zum Sex kennen immerhin 7% der Ärztinnen und 9% ihrer männlichen Kollegen.
• Mehr Männer hatten, wie zu erwarten, damit zu kämpfen, dass sie fälschlicherweise beschuldigt wurden. 5% der Ärztinnen und Ärzte waren mit solchen Vorwürfen von Patienten konfrontiert.

Krankenpfleger/-innen machen mit Patienten nicht nur häufiger sexuell übergriffige Erfahrungen als Mediziner (38% versus 24%). Die Patienten sind ihnen gegenüber vor allem unverschämter und rücksichtsloser als gegenüber Ärzten, bei denen sich Patienten anscheinend nicht so viel trauen. Erschreckend ist, dass 74% des Pflegepersonals unangemessene Berührungsversuche erlebt haben. Jeder 4. wurde offen nach Sex gefragt. Dagegen wollten die Patienten mit ihren Pflegern/-innen deutlich seltener ein Date als mit ihren Ärzten (21% versus 50%).

Die wichtigste Botschaft dieser Umfrage ist, dass die meisten Ärztinnen und Ärzte versuchen, diese Avancen höflich und bestimmt abzulehnen und die Patienten in ihre Schranken verweisen. Die Frage nach einem Date aber auch körperliche Übergriffe werden rigoros abgelehnt (72% und 60%). Aufreizendes Verhalten verbitten sich dagegen nur 56% der Ärzte. Ungefähr jeder 2. holt sich künftig einen Mitarbeiter dazu, damit er mit dem Patienten nicht allein im Zimmer ist. Radikaler handelte jeder 10. Arzt, indem er den Patienten rausschmiss, wenn er sich aufreizend oder übergriffig verhielt.

Ein anderer Kollege hat eine spezielle Vorsichtsmaßnahme ergriffen: „Als Arzt in einer gehobenen Position ist man immer wieder Annäherungsversuchen von Frauen ausgesetzt. Aus diesem Grunde habe ich entschieden, Frauen vom 16. bis zum 45. Lebensjahr nur in Begleitung einer Pflegekraft zu untersuchen und zu behandeln!“

Belästigung durch Kolleginnen oder Kollegen

Auch wenn sexuelle Belästigungen im Kollegenkreis seltener vorkommen als durch Patienten, sind sie dennoch schwerwiegender: Man müsste mit den Tätern meist weiter zusammenarbeiten. Das Arbeitsklima und die persönliche Befindlichkeit leiden darunter oft irreparabel. Manchmal hilft in einem solchen Fall dem Opfer nur die Kündigung – das Opfer ist doppelt gestraft.

[!] „Sie können gewiss sein, dass es kein Krankenhaus ohne Mobbing, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und Intrigen gibt.“
Ein Thorax- und Gefäßchirurg aus Thüringen.

In Deutschland haben 7% der Ärztinnen und Ärzte in den vergangenen drei Jahren selbst Erfahrungen mit sexueller Belästigung in ihrem Arbeitsumfeld gemacht. 15% der Ärztinnen und Ärzte konnten sexuelle Belästigungen in ihrem Umfeld beobachten. Nur einer von 100 Ärzten erwähnte in unserer Umfrage, dass ihm in den vergangenen 3 Jahren ein Fehlverhalten vorgeworfen wurde.

Wer denkt, dass nur junge Menschen im Job mit anzüglichen Kommentaren, frauenfeindlichen Witzen oder körperlichen Übergriffen zu kämpfen haben, verkennt die Situation im Alltag. Erstaunlicherweise haben erfahrene Kollegen, im Alter zwischen 40 und 49 am häufigsten mit Belästigungen verschiedener Art zu kämpfen. Unter den Jungen sind dies 15% der Ärztinnen und Ärzte. Aber vielleicht spielt auch die Hierarchie eine Rolle: Assistenzärztinnen und -ärzte erleben doppelt so häufig Belästigungen dieser Art wie ihre Facharztkollegen (15% versus 7%).

Wie unterscheiden sich die Erfahrungen von Frauen und Männern? Beinahe jede 7. Ärztin (13%) hat selbst schon mindestens ein Mal in den vergangenen drei Jahren sexuelle Belästigungen erlebt. Dagegen berichtet nur einer von 25 Männern von einem derartigen Übergriff.

Gibt es Unterschiede in den Erfahrungen von Ärzten und Pflegepersonal? Die Berufsgruppe der Krankenpfleger mit einem hohen Anteil an weiblichen Mitarbeitern, sind fast in gleichem Maße (10%) von Belästigungen betroffen wie Ärztinnen (13%), zeigen die Ergebnisse – die jedoch in dieser Umfrage nur auf einer relativ kleinen Stichprobe beruhen. 20% des Pflegepersonals hatten ein Fehlverhalten in ihrem Arbeitsumfeld beobachtet.

Weil das Spektrum von Belästigungen so breit ist, bat Medscape die Teilnehmer, die belästigt wurden, um genauere Angaben, was ihnen passiert ist. Am häufigsten sind verbale und nonverbale Varianten von Fehlverhalten: Blöde Kommentare zur Figur, anzügliche Blicke, peinliche „Komplimente“. 61% der Ärztinnen und Ärzte haben im Job-Alltag damit zu tun.

Eine junge Ärztin um die 30 aus Berlin musste sich zum Beispiel ständig anzügliche Witze anhören. Sie wurde auch gefragt, ob sie „untenrum rasiert“ wäre. Der Aggressor war in ihrem Fall eine Frau, ihre Oberärztin. Die Betroffene schämte sich und war einem Burnout nahe. Letztlich kündigte sie.

Viele Kollegen überschreiten auch den als angenehm empfundenen körperlichen Abstand. Mehr als jedem 2. Arzt oder jeder 2. Ärztin rücken die Kollegen zu eng auf die Pelle, oder sie müssen zum Beispiel unerwünschte Umarmungen oder „Kussversuche“ über sich ergehen lassen.

Für eine Assistenzärztin in der Zahnmedizin in Baden-Württemberg endete eine Feier auf diese Weise: „Ein Kollege schubste mich in eine Ecke, begrabschte mich und behauptete ich hätte ihn den ganzen Abend angeflirtet. Erst als jemand vorbeilief, hat er aufgehört.“

7% der Übergriffe sind von dieser massiven Art: Vergewaltigungen oder erzwungenes Anfassen an bestimmten Körperteilen. Die Auswertung ergab auch, dass die Opfer nicht selten bedroht werden (7%), wenn sie nicht auf die Avancen eingehen. Oder ihnen wird eine berufliche Förderung versprochen, wenn sie sexuelle Gefälligkeiten leisten (7%).

Die Übergriffe finden meist in der Öffentlichkeit statt

Die Räume, in denen es zu den Übergriffen kam, sind erstaunlich öffentlich: Im Sprechzimmer, im OP-Saal, auf dem Flur. Das Büro des Täters, wo man Privatheit vermuten würde, steht erst an 3. Stelle. Die Parkgarage, ein Ort, vor dem viele Frauen Angst haben, war dagegen nur in 4% der Fälle der Tatort.

Die Erfahrungen der Beobachter machen eines deutlich: Im Arbeitsalltag gibt es häufig Zeugen. Diese nennen mit ähnlichen Häufigkeiten die verschiedenen Formen von Fehlverhalten wie die Opfer. Ihre Wahrnehmung unterscheidet sich also kaum von den Erlebnissen der Ärztinnen und Ärzte und Ärztinnen, die selbst belästigt wurden.

[!] Im Gesamtdurchschnitt waren deutlich mehr Männer Täter (68%) als Frauen (32%). Frauen wurden zu 97% von Männern belästigt.

Dreistigkeit ist oft auch eine Frage der Macht

Nur in etwa 9% der Fälle kam das Fehlverhalten von Kollegen auf gleicher Hierarchie-Ebene. In fast der Hälfte der Fälle (47%) war der Täter eine Vorgesetzte oder ein Vorgesetzter oder auf einer höheren Ebene angesiedelt. Allerdings gingen in 44% der Fälle die Belästigungen von Kollegen einer niedrigeren Hierarchie-Ebene aus.

Ein Arzt aus Baden-Württemberg, Anfang 40, erlebte häufiger, dass Krankenschwestern zu nahe an ihn ran rückten oder sogar ihre Brüste an seinen Kopf oder Gesicht pressten, als er auf einem Stuhl saß. „Als Mann und Arzt ist es normalerweise nicht so schlimm, Frauen haben es da deutlich schwerer, insbesondere in der Pflege“, kommentierte er seine Erlebnisse.

Eine Anästhesistin in ihren 50ern aus Hessen erlebte folgende Szene: „Ein Krankenpfleger meinte beim Starten eines Gerätes im OP, dass es sich anhöre, wie wenn mein Vibrator runtergefallen wäre. Die männlichen Kollegen lachten. Einige Minuten später diskutierten sie über das Problem einer trockenen Scheide.“ Nach solchen Äußerungen ging es ihr schlecht, berichtet die Ärztin. Sie reichte bei der Ärztlichen Direktorin Beschwerde ein. Passiert sei daraufhin aber „nicht viel, weil sich die Täter zusammengeschlossen hatten und die Vorwürfe leugneten“.

Was machen solche Erlebnisse mit den Betroffenen?

Fast die Hälfte der Ärzte, die eine Belästigung erlebt haben, stufen diese Erfahrung als verletzend bis sehr verletzend ein (Grad 4 und 5). Allerdings speichern auch drei von 10 Ärzten diese Erlebnisse nicht oder kaum mit negativen Gefühlen ab. Wer im Arbeitsumfeld einer Belästigung ausgesetzt war, ist auf der Hut und fürchtet weitere Übergriffe. Möglicherweise meidet man bestimmte Kollegen oder man verhält sich im Team lieber defensiver und geht in Deckung. 39% der Betroffenen geben an, dass das Erlebte ihre Arbeit stark beeinträchtigt hat.

Groß ist der Anteil derer, die Aufdringlichkeiten anders verarbeiten und im Job genauso gut performen wie zuvor. 44% der Ärztinnen und Ärzte fühlen sich nach einer sexuellen Belästigung nicht oder überhaupt nicht beeinträchtigt. Eine Kinderärztin aus Bayern, Anfang 60, erzählt: „Ich habe gelegentlich sehr direkte Komplimente über mich oder mein Aussehen bekommen, hinter denen durchaus ein Wunsch nach Mehr gestanden haben kann. Aber wenn ich freundlich lächelnd ein abschließendes Dankeschön ohne Möglichkeit zum Anknüpfen gesagt habe, kam nie Weiteres hinterher. Und diese Komplimente habe ich nicht als sexuelle Belästigung empfunden.“

Resignation statt Meldung

Bemerkenswert ist diese Zahl: 75% der Opfer haben den Täter nicht gemeldet. Am häufigsten sprachen die Betroffenen mit Kollegen über Ihr unangenehmes Erlebnis. Der direkte Chef oder sogar die Polizei wurden dagegen kaum oder gar nicht ins Vertrauen gezogen.

Und wie haben die Opfer gegenüber den Aggressoren reagiert? Nur 40% der Ärztinnen und Ärzte haben dem Täter gesagt, er solle mit seinem unverschämten Verhalten aufhören. 11% haben sich ihm mitgeteilt und ihm erklärt, wie sich seine Aktionen anfühlen.

Eine Psychiaterin aus NRW, Anfang 40 und angestellt in einer Rehaklinik, sprach zwei Kollegen an, die ihr „wieder holt Textnachrichten und Filmchen mit nackten Frauen geschickt oder gezeigt hatten, unter dem Deckmantel von Spaß“. Doch sie fand dies alles andere als lustig. „Ich habe den mir unterstellten Kollegen mehrfach gesagt, dass ich so etwas nicht wünsche. Erst als ich ihnen mitteilte, dass ihr Verhalten in Richtung sexuelle Belästigung geht und abmahnwürdig wäre, kam es langsam zum Erliegen“, berichtet sie und erwähnt, dass auch andere Kollegen von den beiden „mit solchem Müll“ belästigt wurden. Frustriert ist sie darüber, dass eine jüngere Kollegin diese Aktionen als Kompliment empfunden hätte.

Das häufigste Argument für das Verschweigen eines Fehlverhaltens scheint diese Aussage sein: „Ich habe Angst, dass mir vorgeworfen wird, überreagiert zu haben.“ Auch eine Assistenzärztin aus Hessen nannte diesen Grund, warum Sie die ständigen Berührungen ihres Chefs an ihrer Taille und seine Kommentare zu ihrer Figur nicht publik machte: „Genau wie die anderen wehre auch ich mich in diesen Momenten nicht, da immer zahlreiche andere Mitarbeiter herumstehen und man schnell als überempfindlich gilt. Ferner sorgt man sich natürlich um die eigene Weiterbildung.“

Jeweils ein Viertel der Betroffenen hat scheinbar resigniert und war der Meinung, dass eine Aussage über das Fehlverhalten sowieso nichts bringt und vom Arbeitgeber keine Unterstützung kommt. „Das ist so normal als junge Frau“, erzählt eine junge Ärztin von ihrer Studentenzeit, „ich nahm an, dass ich damit leben muss, wenn ich in der Chirurgie arbeiten möchte.“ Inzwischen ist sie in einen Job in die Wirtschaft gewechselt. Eine Gynäkologin hat im Laufe ihres Berufslebens mehr Selbstbewusstsein gewonnen: „Ich war damals jung und schüchtern. Heute würde ich es melden.“

Und wie reagieren Männer? „Ich finde die Übergriffe auch sehr unangenehm, aber als Mann wird man nicht ernst genommen, wenn man was dagegen sagt. Bei Frauen ist der Umgang mit sexueller Belästigung ziemlich schlecht … aber besser als bei Männern“, sagt ein angestellter Arzt im Krankenhaus.

Eine Erklärung, warum so wenige der Betroffenen den Vorfall melden: Die meisten wollen oder können womöglich dem Täter nicht aus dem Weg gehen. 80% der belästigten Ärztinnen und Ärzte sind der Meinung, dass man weiter mit dem unangenehmen Kollegen zusammenarbeiten soll.

Wie verändern solche unangenehmen Erlebnisse den Joballtag?

Fast zwei Drittel der Ärztinnen und Ärzte haben durch die erfahrene Belästigung ihr Verhalten am Arbeitsplatz verändert. Die wichtigsten Anpassungen waren: drei von zehn Betroffenen mieden bestimmte Kollegen. Jeder 4. kündigte oder spielte zumindest mit dem Gedanken, dies zu tun.

Ein verletzendes oder unangenehmes Fehlverhalten von Kollegen kann sich auch im Privatleben auswirken. Am häufigsten wirkte sich der Vorfall negativ auf das Schlafverhalten aus. Aber auch Eheprobleme wurden genannt. Außerdem gerieten 16% der Opfer in eine soziale Isolation, womöglich weil sie sich schämten.

Beschwerdemanagement und Schulung – unbekannt oder nicht vorhanden

Den Umgang mit sexueller Belästigung im Job kann man lernen. Aber wie? Manche Arbeitgeber führen dazu bereits Seminare oder Trainings für ihre Angestellten durch. Doch anscheinend sind solche Angebote eher eine Seltenheit. 92% der Teilnehmer dieser Umfrage beantworten die Frage, ob der Arbeitgeber ein obligatorisches Training zum Umgang mit sexueller Belästigung durchführt, mit Nein.

„Ich habe mehrfach miterlebt, wie das Fehlen einer konkreten Ansprechstelle zu Belästigung durch einzelne Personen das Arbeitsklima ganzer Krankenhäuser in Schieflage gebracht hat.“
Ein Kardiologe aus einer Klinik in Brandenburg

Immerhin ist jeder 5. Arzt und Krankenpfleger/-in darüber informiert, dass es bei seinem Arbeitgeber nach solchen Vorfällen ein Beschwerdeverfahren gibt.

Eine Teilnehmerin der Umfrage fordert: „Gegen sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz muss mit absoluter Härte vorgegangen werden. Leider sind die Opfer im System nicht genügend geschützt und es gibt oft keinen geeigneten Prozess, wie Opfer sich melden und Täter anzeigen können. Arbeitgeber müssen dazu ermutigen und in regelmäßigen Abständen Schulungen durchführen, wie es in anderen Ländern seit langem schon Pflicht ist. Das würde auch Täter abschrecken. Leider, sind gerade Frauen neben der sexuellen Belästigung vielfach despektierlichen Kommentaren aus der Grauzone ausgesetzt, die eine Anklage nicht gerechtfertigt erscheinen lassen.“

Was soll man tun?

Da man Belästigungen in einem anderen Licht sieht, wenn man sie selbst erlebt hat, ist es interessant, welche Tipps Betroffene geben. Viele Umfrageteilnehmer haben ihre Meinung mitgeteilt und auch hier gehen die Ansichten auseinander:

Die einen fordern: „Sofort eine Anzeige bei der Polizei zu machen“. Andere mahnen zur Zurückhaltung. So meint ein Notfallmediziner aus dem Ruhrpott: „Wo fängt sexuelle Belästigung an? Bei körperlichen Übergriffen und wiederholtem, psychisch belastendem Verhalten darf man Null Toleranz haben. Ansonsten sollte man mal den Ball flachhalten.“

[!] Doch die Mehrzahl der Ratschläge lautet: Unbedingt melden, darüber reden, sonst ändert sich nichts! Mögliche Helfer sind Kollegen, Vorgesetzte und der Betriebs- oder Personalrat. Eine Ärztin empfiehlt einen Stufenplan: „Dem Aggressor sollte man verbal unmissverständlich klar machen, dass man diese Belästigung nicht möchte. Gegebenenfalls auch körperlich Gegenwehr leisten, wenn erforderlich. Falls dieses Vorgehen nicht sofort zur Beendigung dieses Verhaltens führt, sollte man Zeugen oder Dritte zu Hilfe rufen. Damit eine eventuelle polizeiliche Anzeige auch Erfolg hat.“

[!] Der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) rät, sich an den Personal- oder Betriebsrat oder Gleichstellungsbeauftragte zu wenden. „Wenn Sie spüren, das ist ein Übergriff, dann ist die Pflicht des Arbeitgebers, die sexuelle Belästigung zu stoppen und in Zukunft zu verhindern. Nehmen Sie als Ärztin sexuelle Belästigung nicht hin und lassen Sie sich unterstützen, wenn Sie sich wehren wollen“, appelliert DÄB-Präsidentin Dr. Christiane Groß.
www.aerztinnenbund.de/downloads/5/Faltblatt_MeToo.pdf