Studie über Genveränderungen zeigt neue Behandlungschancen für Rheuma auf
Durch Erbgut-Analysen werden immer mehr Krankheiten entdeckt, die auf angeborenen Störungen der Immunabwehr beruhen. Betroffene leiden oft seit der frühen Kindheit unter wiederkehrenden Infekten, die nur durch wiederholte Antibiotikagabe in Schach gehalten werden können. Der Körper ist eigenständig dazu nicht in der Lage. Das Paradoxon: Gerade diese Menschen sind zudem besonders häufig von Autoimmunkrankheiten wie Rheuma betroffen – während das Immunsystem den Körper nach außen also nur bedingt schützt, richten sich seine Abwehrreaktionen stattdessen gegen körpereigene Strukturen. Über Ursachen dieses Zusammenhangs konnte lange nur spekuliert werden, jetzt haben Forschende dahinterstehende Genveränderungen aufgedeckt.
Der allgemeine variable Immundefekt (CVID) ist eine angeborene Erkrankung und zeichnet sich durch sehr niedrige Konzentrationen von Antikörpern (Immunglobuline) aus. Bis zu 30 Prozent der Patient:innen leiden zusätzlich auch an einer Autoimmunerkrankung. „Die Abwehrzellen sind bei diesen Menschen nur eingeschränkt in der Lage, Krankheitserreger abzuwehren. Stattdessen kommt es zu Angriffen auf den eigenen Körper, beispielsweise auf Gelenke und Gewebe“, sagt Professor Dr. med. Torsten Witte, Direktor der Klinik für Klinik für Rheumatologie und Immunologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Er hat gemeinsam mit anderen Forschenden den Zusammenhang zwischen Immundefekten und Autoimmunerkrankungen im Rahmen einer Studie genauer untersucht. „Bekannt war bereits, dass zumindest bei einigen Patient:innen mit Immundefizienz eine Genveränderung vorliegt. Gegenstand unserer Untersuchung war nun, wie häufig eben diese Genveränderung bei Patient:innen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen vorkommt“, erklärt Witte.
Dazu wurden über 1000 Patient:innen untersucht, die aufgrund von Immundefekten eine medikamentöse Behandlung erhielten, die die Funktion des Immunsystems verbessern sollte. Bei der Untersuchungsgruppe konnte nachgewiesen werden, dass bei fast der Hälfte der Patient:innen mit Rheuma und Immundefekt jene Genveränderungen vorliegen, die bisher lediglich mit Immundefekten in Verbindung gebracht wurden. Bei jenen Patient:innen, die lediglich unter einem Immundefekt litten, waren es nur elf Prozent der Teilnehmenden, bei denen eine Genveränderung nachweisbar war. „Die Verbindung von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen und Immundefekten ist somit überwiegend genetisch bedingt“, erläutert Witte. Der Experte erklärt, dass zukünftig genetische Untersuchungen bei neu diagnostizierten Rheumapatient:innen frühzeitig über mögliche Genveränderungen aufklären könnten. Die Erkenntnisse aus diesen Untersuchungen hätten entscheidende therapeutische Konsequenzen und deren Nachweis öffne den Weg zu einer individualisierten Rheumatherapie.
Die bei Menschen mit Immundefekt häufigen Autoimmunreaktionen haben ein neues Verständnis für die beiden Erkrankungen geschaffen. „Wir betrachten einen Immundefekt nicht mehr nur als Erkrankung, die auf der fehlenden Aktivierung des Immunsystems beruht“, sagt Professor Dr. med. Andreas Krause, Kongresspräsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) aus Berlin. „Die Betroffenen haben eher ein nicht korrekt austariertes Immunsystem, bei dem es zu einer fehlenden oder einer überschießenden Reaktion kommen kann“, erläutert Krause weiter. Bei der Behandlung müssten die Ärzte darauf achten, welche Komponente gerade im Vordergrund steht. „Bei Infektionen benötigen die Patient:innen Antibiotika, im nächsten Moment müssen wir Immunsuppressiva geben, um das Immunsystem wieder ins Gleichgewicht zu bringen“, so Krause.
Sogkas G. et al. Annals of the Rheumatic Diseases 2021; 80:392-399
Deutscher Rheumatologiekongress vom 31. August bis 3. September 2022 in Berlin (hybrid)