Recht

Urlaubsentgelt: Tatsächliche Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft ist zu berücksichtigen

von RA und FA für ArbR und MedR, Dr. Tilman Clausen, armedis Rechtsanwälte Hannover, www.armedis.de

Bei der Berechnung des Urlaubsentgelts eines Oberarztes sind auch die Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft zu berücksichtigen (Bundesarbeitsgericht [BAG], Urteil vom 20.09.2016, Az. 5 AZR 429/15 ). Dies gilt sowohl im Geltungsbereich des TV-Ärzte/VKA (Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände) als auch im Geltungsbereich anderer Tarifverträge, die in bundesdeutschen Krankenhäusern Anwendung finden. 

Sachverhalt

Der Kläger ist in dem beklagten Krankenhaus seit dem 01.06.2002 als Oberarzt tätig. Nach § 3 seines Anstellungsvertrags richtet sich das Vertragsverhältnis nach den Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) vom 23.02.1961 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung. Das ist hier der TV-Ärzte/VKA.

Tatsächliche Inanspruchnahme blieb unberücksichtigt

Der Oberarzt war zuletzt in die Entgeltgruppe 3, Stufe 3 TV-Ärzte/VKA eingruppiert. Seine regelmäßige Arbeitszeit erbrachte er montags bis donnerstags von 08:00 bis 16:45 Uhr und freitags von 08:00 bis 15:30 Uhr. Darüber hinaus leistete er regelmäßig Rufbereitschaft. Hierzu wurde er über einen Dienstplan eingeteilt, der jeweils einen Zeitraum von sechs Wochen abdeckte. Im ersten Quartal 2014 wurde der Oberarzt aus der Rufbereitschaft zu mehreren Einsätzen im Krankenhaus gerufen. Das Krankenhaus vergütete diese Einsatzzeiten einschließlich der Wegezeiten wie Überstunden. Vom 05. bis 27.04.2014 hatte der Oberarzt 13 Tage Urlaub. Bei der Berechnung des Urlaubsentgelts berücksichtigte das Krankenhaus das für die tatsächliche Inanspruchnahme während der im Berechnungszeitraum geleisteten Rufbereitschaft gezahlte Entgelt nicht.

Oberarzt forderte zusätzliches Urlaubsentgelt

Nach Meinung des Oberarztes hätte das Krankenhaus ihm auf der Grundlage des § 22 i. V. mit § 27 TV-Ärzte/VKA für die gewährten 13 Tage Urlaub ein zusätzliches Urlaubsentgelt in Höhe von 136,73 Euro brutto je Urlaubstag – in Summe 1.777,49 Euro – gewähren müssen. Zur Begründung verwies er darauf, dass er während des Urlaubs finanziell nicht schlechter gestellt werden dürfe als wenn er regulär gearbeitet hätte. Die für die Inanspruchnahme während der Rufbereitschaft geleistete Vergütung sei kein „zusätzlich für Überstunden“ gezahltes Entgelt und deshalb bei der Bemessung des Urlaubsentgelts zu berücksichtigen (§ 22 Abs. 3 TV-Ärzte/VKA). Das Krankenhaus sah dies anders. Das BAG gab dem Oberarzt Recht.

Entscheidungsgründe

Zur Begründung für seine Entscheidung verwies das BAG auf § 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) i. V. mit Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 (Arbeitszeitrichtlinie). Nach § 1 BUrlG habe jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Zur Erfüllung dieses Anspruchs genüge es nicht, dass der Arbeitnehmer in der Zeit des Urlaubs nicht arbeiten muss. Die Zeit der Freistellung von der Arbeit müsse „bezahlt werden“.

Definition des „bezahlten Jahresurlaubs“

§ 1 BUrlG entspricht Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes bedeutet der in Artikel 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie enthaltene Begriff des „bezahlten Jahresurlaubs“, dass das Arbeitsentgelt für die Dauer des Jahresurlaubs im Sinne der Richtlinie weiter zu gewähren ist. Der Arbeitnehmer muss für diese Ruhezeit das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten. Die Richtlinie behandelt den Anspruch auf Jahresurlaub und denjenigen auf Zahlung des Urlaubsentgelts als zwei Aspekte eines einzelnen Anspruchs.

Untrennbare und gelegentliche arbeitsvertragliche Aufgaben

Durch das Erfordernis der Zahlung des Urlaubsentgelts werde gewährleistet, dass der Arbeitnehmer hinsichtlich des Entgelts während des Jahresurlaubs in eine mit den Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbare Lage versetzt wird. Dabei müsse jede Unannehmlichkeit, die untrennbar mit der Erfüllung der dem Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben verbunden ist und innerhalb des Gesamtentgelts des Arbeitnehmers berücksichtigt wird, zwingend Teil des Betrags sein, auf den der Arbeitnehmer während seines Jahresurlaubs Anspruch hat. Demgegenüber können Entgeltbestandteile, die ausschließlich gelegentlich anfallende Kosten oder Nebenkosten decken sollen, unberücksichtigt bleiben.

Die aus der Rufbereitschaft heraus zu leistenden Arbeitseinsätze zählen zu den dem Oberarzt nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben. Sie fallen nicht nur gelegentlich an. Vor diesem Hintergrund seien Zeiten der tatsächlichen Inanspruchnahme während einer Rufbereitschaft in die Berechnung des Urlaubsentgelts einzubeziehen. Von diesem Grundsatz könne auch nicht durch Tarifvertrag zu Ungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden.

FAZIT | Die Entscheidung des BAG befasst sich zwar nur mit der Auslegung des § 22 TV-Ärzte/VKA und stellt klar, dass maßgeblich für die Auslegung dieser Tarifvorschrift höherrangiges Recht in Form des § 1 BUrlG bzw. Artikel 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG ist. Die Entscheidung ist darüber hinaus aber auch für Oberärzte relevant, die in Krankenhäusern arbeiten, in denen der TV-Ärzte/VKA nicht zur Anwendung kommt. Der Grundsatz, dass § 1 BUrlG Tarifvorschriften vorgeht, dürfte auch dort gelten.