Diagnosen präzise dokumentieren: Ein Schritt zu besserer Patientenversorgung
Der Diagnosekopf in Krankenhaus-Entlassbriefen steht im Mittelpunkt einer neuen Studie der Universität Witten/Herdecke, die im Journal of General Internal Medicine veröffentlicht wurde. Die Studie schlägt einen einheitlichen, fachübergreifenden Standard für die Struktur und den Inhalt des Diagnosekopfs in Entlassbriefen vor, der auf den Präferenzen der deutschen Ärzteschaft basiert. Die Studie zeigt auch eine schematische Visualisierung des vorgeschlagenen Diagnosekopfs.
Hintergrund der Untersuchung ist die weitverbreitete Unzufriedenheit unter Ärzt:innen mit der Qualität von Entlassbriefen, die häufig unklar, unstrukturiert oder fehlerhaft sind. In Deutschland fehlt bislang ein einheitlicher Standard für den Inhalt und die Struktur des Diagnosekopfs. Dies führt dazu, dass wichtige Informationen zu Patient:innen im entscheidenden Moment oft nicht vorliegen und verhindert die nahtlose Übertragung von Diagnosedaten in die IT-Systeme der weiterbehandelnden Ärzt:innen. Die Studie hat das Ziel, die Kommunikation therapierelevanter Informationen zwischen Krankenhaus- und niedergelassenen Ärzt:innen zu verbessern und auf Basis ärztlicher Präferenzen einen einheitlichen, digitalen Diagnosekopf zu etablieren, um die Qualität der Patientenversorgung nachhaltig zu steigern.
Was die Studie zeigt
Die deutschlandweite Umfrage unter 602 Ärzt:innen (davon 317 niedergelassen und 285 stationär) ergab, dass 95,7% der befragten Ärzt:innen den Diagnosekopf als „entscheidend“ für die Weiterbehandlung ihrer Patient:innen einstufen. Gleichzeitig zeigten sich jedoch nur 36,9% der Befragten zufrieden mit dem aktuellen Inhalt und Format. Uneinheitliche Gestaltung, fachspezifische Abkürzungen und das Fehlen verbindlicher Standards, wodurch beispielsweise ICD-10-Codes meist nicht angegeben werden, führen laut der Umfrage nicht nur zu Missverständnissen, sondern auch zu einem erheblichen administrativen Mehraufwand für niedergelassene Hausärzt:innen. Die größte Kritik: mangelnde Interoperabilität mit Praxis-und Krankenhaussoftware (10,9% zufrieden), Unvollständigkeit der Angaben (27,9% zufrieden), und mangelnde Strukturierung, z.B. durch Überschriften oder Sortierung (28.1% zufrieden).
Als Ursachen für mangelhafte Diagnoseköpfe identifizierten die befragten Krankenhausärzt:innen (n = 285) zwölf Faktoren. Als am relevantesten wurde bewertet: die unreflektierte Übernahme von Daten aus vorherigen Briefen (96,1% bewerteten dies als relevant oder sehr relevant), Zeitdruck (89,4%), mangelhafte Aufnahmedokumentation (82,6%) sowie das Fehlende allgemeiner Vorgaben und Konventionen (70,4%).
Die Mehrheit der Ärzt:innen (91,2%) sprach sich deutlich für die Einführung eines einheitlichen Standards aus. Besonders wichtig sind laut der Studie 18 zentrale Inhaltselemente, die pro aktueller Behandlungsdiagnose angegeben werden sollten, darunter besonders wichtig (>95,0% Zustimmung):
- Name der Diagnose (inklusive ICD-10 Code)
- Schweregrad, Stadium, Einstufung oder TNM-Klassifikation
- Lokalisation (z.B. beidseitig, rechts), Ausdehnung (5cm, großflächig), Befallsmuster
- Verlauf (z. B. akut, chronisch, rezidivierend)
- Ausprägung (z.B. symptomatisch, reizlos)
- Komplikationen
- Datum der Erstdiagnose
- Ätiologie oder Ursache (z.B. nosokomial, ambulant erworben)
Hinsichtlich des Formats zeigte die Studie unter anderem, dass eine klare Trennung von aktuellen und chronischen/vorherigen Diagnosen durch Überschriften von 86,4 % der Befragten Ärzt:innen bevorzugt wurde.
Die Studie offenbarte zudem Unterschiede zwischen stationär und ambulant tätigen Ärzt:innen. So wurden ICD-10-Codes von niedergelassenen Ärzt:innen als essenziell für die Übertragung der Diagnosen in ihr IT-System betrachtet (95,6 % bewerteten sie als notwendig). Im Gegensatz dazu sahen Krankenhausärzt:innen diese deutlich seltener als erforderlich an (61,1 %, p < 0,001), eine vermeintliche Erklärung, warum ICD-10-Codes in Entlassbriefen häufig fehlen. Darüber hinaus bewerteten niedergelassene Ärzt:innen signifikant häufiger konkrete „Handlungsempfehlungen für weitere Maßnahmen“ (76,6 % vs. 63,6 %, p < 0,001) und Informationen zu „Nachsorgeterminen“ (77,3 % vs. 63,5 %, p < .001) als notwendig im Vergleich zu ihren stationär tätigen Kolleg:innen.
Fazit: Ein Schritt in Richtung Einheitlichkeit
Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen den dringenden Bedarf an einheitlichen Standards für den Diagnosekopf in Entlassbriefen. Eine standardisierte und klar strukturierte Dokumentation würde nicht nur Missverständnisse reduzieren, sondern auch eine reibungslose Übertragung von Diagnosedaten zwischen IT-Systemen ermöglichen und somit die Qualität der Patientenversorgung verbessern. Darüber hinaus erleichtert eine strukturierte Erfassung von Diagnosen die sekundäre Nutzung von Diagnosedaten für Forschungszwecke.
Die Autoren hoffen, dass die Ergebnisse in die Gestaltung des elektronischen Krankenhaus-Entlassbriefs einfließen, der derzeit von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung entwickelt wird. Der nächste Schritt hierfür ist die Programmierung des vorgeschlagenen Diagnosekopfs als Medizinisches Informationsobjekt (MIO), was auch die Interoperabilität mit der elektronischen Patientenakte sicherstellt. Zusätzlich hoffen die Autoren, dass IT-Systemhersteller die gewonnenen Erkenntnisse bei der Weiterentwicklung ihrer Krankenhausinformationssysteme (KIS) berücksichtigen, damit stationär tätige Ärzt:innen die technischen Voraussetzungen erhalten, den Diagnosekopf schnell und einfach auszufüllen. Interaktive Funktionen im KIS wie Verlinkungen zu Befunden, ein- und ausklappbare Details sowie Such- und Filteroptionen können zudem die Übersichtlichkeit steigern und die Nutzung erleichtern. Mittelfristig ist zudem zu erwarten, dass der Dokumentationsaufwand verringert werden kann durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz zur automatischen Vorbefüllung der Datenfelder im Diagnosekopf.
Weitere Details und Erkenntnisse finden Sie in der vollständigen Publikation unter: https://link.springer.com/article/10.1007/s11606-025-09395-9
Abbildung 1: Beispielhafte Visualisierung des interdisziplinären Standards
Praktische Tipps für Ärzt:innen zur Dokumentation von Diagnosen
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Wissenschaftliche Zusammenfassung der Studie
Hintergrund: Ärzt:innen klagen häufig über unstrukturierte, fehlerhafte und inkonsistente Entlassbriefe. Obwohl der Diagnosekopf, neben dem Medikationsplan, das Herzstück des Krankenhaus-Entlassbriefs darstellt, fehlt es bislang an einem einheitlichen Standard für dessen Inhalt und Struktur. Dies führt zu erheblichen Qualitäts- und Inhaltsunterschieden, wodurch wichtige Informationen zu Patient:innen im entscheidenden Moment oft nicht vorliegen. Zudem erschwert die mangelnde Standardisierung die nahtlose Übertragung von Diagnosedaten in die IT-Systeme der weiterbehandelnden Ärzt:innen, was die Kontinuität der Versorgung beeinträchtigt.
Zielsetzung: Ziel der Studie war die Entwicklung eines fachübergreifenden Standards für Struktur und Inhalt des Diagnosekopfs in Entlassungsbriefen, basierend auf den Präferenzen der deutschen Ärzteschaft. Dabei wurden die unterschiedlichen Anforderungen und Wünsche von stationär tätigen Ärzt:innen, die den Diagnosekopf verfassen, und niedergelassenen Ärzt:innen, die ihn primären lesen, berücksichtigt und miteinander verglichen.
METHODE: Die Mixed-Methods-Studie kombinierte eine umfassende Literaturrecherche und Fokusgruppendiskussionen mit einer deutschlandweiten Umfrage unter 602 Ärzt:innen (317 niedergelassen, 285 stationär ). Während quantitative Analysen die Zufriedenheit und Präferenzen der Ärzteschaft bewerteten, lieferten qualitative Rückmeldungen tiefere Einblicke in bevorzugte Inhalte und Strukturen des Diagnosekopfs.
ERGEBNISSE: Obwohl 95,7 % der Ärzt:innen den Diagnosekopf als entscheidend für die Nachsorge einschätzten, waren nur 36,9 % mit dessen aktuellem Inhalt und Struktur zufrieden. 91,2 % befürworteten eine Standardisierung des Diagnosekopfs und identifizierten 18 Inhaltelemente, die für jede aktuelle Behandlungsdiagnose enthalten sein sollten. Ein starker Konsens (>95,0 % Zustimmung) bestand für „Name der Diagnose“, „Schweregrad/Stadium/Einstufung/TNM“, „Lokalisation (bds., R, L)/Ausdehnung (5cm, große…)/Befallsmuster“, „Verlaufsform (z. B. akut, chronisch, rezidivierend)“, „Ausprägung (z.B. symptomatisch, reizlos)“, „Komplikationen“, „Datum der Erstdiagnose“ und „Ätiologie/Ursache (z.B. nosokomial, ambulant erworben)“. 86,4 % bevorzugten die Trennung aktueller und chronischer/früherer Diagnosen durch separate Überschriften. ICD-10 Codes fehlen oft in Entlassbriefen, obwohl 95,6% der niedergelassenen Ärzt:innen diese als notwendig ansahen. Niedergelassene Ärzt:innen hielten zudem Informationen zur Nachbehandlung wie „Empfehlungen für weitere Maßnahmen“ (76,6 % vs. 63,6 %, p < .001) und „Nachsorgetermine“ (77,3 % vs. 63,5 %, p < .001) häufiger für notwendig als stationäre Ärzt:innen. Ein Vorschlag für eine Visualisierung des Standards wurde entwickelt und durch eine Liste mit praktischen Empfehlungen zur Dokumentation von Diagnosen für Ärzt:innen ergänzt.
SCHLUSSFOLGERUNG: Die Studie stellt einen interdisziplinären Standard für den Diagnosekopf vor, der auf den Präferenzen der deutschen Ärzteschaft basiert. Der Standard soll die verlustfreie und präzise Übermittlung therapierelevanter Informationen verbessern und als Grundlage für einen bundesweit einheitlichen, digitalen und interoperablen Diagnosekopf dienen.
Frings, J., Rust, P., Meister, S. et al. Diagnosis Documentation Done Right: Cross-Specialty Standard for the Diagnosis Section in German Discharge Summaries — A Mixed-Methods Study. J GEN INTERN MED (2025). https://doi.org/10.1007/s11606-025-09395-9
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