In Arzthaftungsprozessen geht nichts ohne Anhörung des Sachverständigen
Der Bundesgerichtshof (BGH), das höchste deutsche Gericht in Zivilsachen, hat deutlich gemacht, dass Richter in Arzthaftungsprozessen zu allen wesentlichen Fragen einen Sachverständigen zu befragen haben. Sie dürfen darauf nur verzichten, wenn sie als Richter „entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen“ vermögen. Außerdem müssen sie die Parteien in einem solchen Fall vorab darauf hinweisen.
von Dr. med.dent. Wieland Schinnenburg, Fachanwalt für Medizinrecht, Hamburg
Im konkreten Fall ging es um die Behandlung im Rahmen einer Geburt, das Kind verstarb kurz später. Die Ausführungen des BGH sind ohne weiteres auf Haftungsprozesse übertragbar. Die Eltern erhoben den Vorwurf, dass mit der Durchführung geburtseinleitender Maßnahmen zu spät begonnen und die Indikation zur Kaiserschnittentbindung zu spät gestellt worden sei. Die ersten beiden Instanzen wiesen diesen Vorwurf unter Bezugnahme auf die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen zurück.
Dies reichte dem BGH nicht: Die Eltern hatten noch einen Auszug aus einem einschlägigen Lehrbuch vorgelegt, danach sei in bestimmten Fällen (u.a. Streptokokkenbesiedlung) ein solches Abwarten nicht indiziert. Da eine solche Besiedlung vorlag, hätte der Sachverständige hierzu ausdrücklich befragt werden müssen. Da dies nicht erfolgt war, hob der BGH das Urteil wegen der Verletzung rechtlichen Gehörs auf.
Bundesgerichtshof, 02.07.2024 – VI ZR 240/23