Recht

Skalpell als gefährliches Werkzeug bei einer nicht de lege artis durchgeführten Operation

Die Verwendung eines Skalpells oder einer Schere bei einer Operation durch einen Arzt, der aufgrund körperlicher Einschränkungen objektiv ungeeignet war, operative Tätigkeiten durchzuführen, stellt eine Körperverletzung mittels eines gefährliches Werkzeug dar.

[!] Ein medizinisches Instrument, geführt von einem approbierten Arzt im Rahmen eines indizierten Eingriffs, kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB sein. Ein gefährliches Werkzeug iSv § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist jeder Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und Art seiner Verwendung im konkreten Fall geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen. Dabei wird die Gefährlichkeit allein verwendungsabhängig bestimmt, so dass es nur auf die konkrete Anwendung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ankommt, sofern mit der Anwendung die Gefahr einer erheblichen Verletzung verbunden ist.

Ein Augenarzt wurde wegen vorsätzlicher Körperverletzung in elf Fällen in Tatmehrheit mit schwerer Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr zehn Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Da die Staatsanwaltschaft aber von einer gefährlichen Körperverletzung ausging, legte sie Revision ein. Das Bayerische Oberste Landesgericht entschied zu Gunsten der Staatsanwaltschaft. Es sah in den Operationen mit dem Skalpell und der Schere eine Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Sowohl das Skalpell als auch die Schere seien hier als gefährliches Werkzeug einzustufen, da ein ordnungsgemäßer und fachgerechter Gebrauch durch den Angeklagten aufgrund seiner körperlichen Einschränkungen nicht möglich gewesen sei.

Der Augenarzt erlitt 2009 einen Schlaganfall mit Gehirnblutung und einmaligem epileptischem Anfall. Dieser Schlaganfall führte beim Angeklagten zu erheblichen körperlichen Einschränkungen. Er leidet weiterhin an einer spastischen sensomotorischen Hemiparese rechts, was sich in einer Tiefensensibilitätsstörung der rechten Hand (mit Fehlwahrnehmung der Stellung der Hand im Raum) auswirkt und mit einer Apraxie und einer Tonuserhöhung in den Fingern und im Unterarm der rechten Hand/des rechten Arms einhergeht. Die Feinmotorik der rechten Hand ist deutlich gestört. Auch im rechten Bein ist eine Tiefensensibilitätsstörung verblieben, so dass eine Gleichgewichtsstörung beim Stehen und Gehen vorliegt. Der Angeklagte ist Rechtshänder. Gerade auch aufgrund der Unzufriedenheit mit den Therapiefortschritten und seinen weiter bestehenden körperlichen Einschränkungen unternahm er am 2. Juni 2010 einen Suizidversuch.

Anfang 2011 begann der Angeklagte zunächst mit einem Kollegen wieder augenärztliche Operationen durchzuführen. Ab März 2022 führte er wieder eigenständig ambulante Augenoperationen durch. Bei Durchführung der Operationen werden zur Bedienung der medizinischen Instrumente beide Arme und Beine benötigt. Insbesondere die „Haupthand“, mit der auch der öffnende Schnitt an der Hornhaut mit einem Skalpell durchgeführt wird, muss dabei exakt geführt werden können. Der Operateur muss jederzeit in der Lage sein, auf plötzlich eintretende Komplikationen und Besonderheiten adäquat zu reagieren, um die Operation möglichst sicher ausführen zu können.

Der Arzt operierte von März 2011 bis zum 13. Mai 2016 insgesamt ca. 3.900 Patienten. Bei einem weit überwiegenden Teil (ca. 75%) waren dabei keinerlei negative Folgen festzustellen. Bei den übrigen Operationen lagen häufig geringfügige, aufgrund der Operation erwartbare Folgen, z.B. auch nur gerötete Augen, vor. In elf Fällen allerdings traten gravierende Nachwirkungen auf – bis zur Erblindung.

Der Augenarzt war im gesamten genannten Zeitraum objektiv ungeeignet, operative Tätigkeiten als Augenarzt durchzuführen. Neurologisch war es ihm objektiv aufgrund der weiterhin bestehenden tiefensensorischen Störungen, motorischen Einschränkungen und der Apraxie (Störung bzw. Unfähigkeit, Körperteile zweckmäßig zu bewegen, obwohl die Wahrnehmungs- und Bewegungsfähigkeit selbst intakt ist) nicht möglich, diese Operationen fachgerecht auszuführen.

Der Augenarzt wusste um seine bestehenden körperlichen Einschränkungen. Er erkannte auch, dass sich die körperlichen Einschränkungen auf seine Fähigkeit zur Durchführung von derart komplexen Operationen auswirken. Er erkannte auch, dass diese Einschränkungen daher für die Patienten wichtig sind und diese daher über diese Einschränkungen aufzuklären sind. Die neun von der Anklage umfassten Patienten waren vor den Operationen jeweils über die normalen Risiken des Eingriffs (sogenannte „Grundaufklärung“) durch einen Arzt (erg.: nicht den Angeklagten) belehrt worden. Eine weitergehende Belehrung der Patienten über die Gesundheitsprobleme des Angeklagten, konkret darüber, dass der Angeklagte einen Schlaganfall erlitten hatte und welche Folgen hieraus noch resultierten, erfolgte in keinem Fall. Dies wusste der Angeklagte. Keiner der Geschädigten hätte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung vom körperlich geschädigten Angeklagten operieren lassen.

Bayerisches Oberstes Landgericht, 19.03.2024 – 205 StRR 8/24