Recht

Vertragsärztliche Versorgung: Bessere Wachstumsmöglichkeiten für angestellte Jungärzte

Unterdurchschnittlich abrechnenden Jungärzten muss in einer Aufbauphase von mindestens drei Jahren die Möglichkeit gegeben werden, ihr Honorar bis zum Fachgruppendurchschnitt zu steigern. Bei Austritt eines Vertragsarztes aus einer Berufsausübungsgemeinschaft und Gründung einer Einzelpraxis mit einem angestellten Arzt, der zuvor nicht in der vertragsärztlichen Versorgung tätig war, ist zumindest bezüglich des angestellten Arztes von einer Praxisneugründung auszugehen und für diesen eine Vergütung in Höhe des Fachgruppendurchschnitts zugrunde zu legen.

Der bereits seit 2006 im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung als Facharzt für Radiologie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Kläger war bis Ende des Jahres 2013 Mitglied einer Berufsausübungsgemeinschaft. Zum 1. Januar 2014 gründete er an einem neuen Standort eine Einzelpraxis und stellte einen Arzt an, der zuvor noch nicht in der vertragsärztlichen Versorgung tätig war. Im ersten Quartal seiner Tätigkeit am neuen Praxisstandort unterschritt das Honorar der Praxis den Fachgruppendurchschnitt für Praxen dieser Größe mit zwei vollen Versorgungsaufträgen. Die Individualbudgets, die die Beklagte der Praxis für den Kläger und seinen Angestellten zuordnete, waren ebenfalls unterdurchschnittlich; die oberhalb dieser Budgetgrenze erbrachten Leistungen wurden nicht zu den vollen Preisen der regionalen Euro-Gebührenordnung, sondern abgestaffelt vergütet.

Widerspruch, Klage und Berufung, mit denen der Kläger sowohl für sich selbst als auch für seinen angestellten Arzt als Anfänger in der Aufbauphase der Praxis ein Individualbudget mindestens in Höhe des Fachgruppendurchschnitts geltend gemacht hat, waren erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht hattte ausgeführt, dass der Arzt als bereits langjährig tätiger Vertragsarzt keinen Anspruch darauf habe, ohne Begrenzung bis zum Fachgruppendurchschnitt wachsen zu können. Für Angestellte eines Arztes in Einzelpraxis sehe der Honorarverteilungsmaßstab der Beklagten ebenfalls kein unbegrenztes Wachstum bis zum Fachgruppendurchschnitt vor. Der angestellte Arzt trage nicht das gleiche unternehmerische Risiko wie der Vertragsarzt.

Die Revision des Arztes vor dem Bundessozialgericht war teilweise erfolgreich: Nach ständiger Rechtsprechung folgt aus dem Gebot der Honorarverteilungsgerechtigkeit, dass unterdurchschnittlich abrechnenden Jungärzten in einer Aufbauphase von mindestens drei Jahren die Möglichkeit gegeben werden muss, ihr Honorar bis zum Fachgruppendurchschnitt zu steigern.

[!] Die zunächst für Einzelpraxen ohne Angestellte entwickelten Vorgaben sind in der Rechtsprechung für kooperative Berufsausübungsformen weiterentwickelt worden. Danach müssen sich sowohl die Berufsausübungsgemeinschaft beziehungsweise das Medizinische Versorgungszentrum als auch die dort tätigen Ärzte in der Aufbauphase befinden. Das Bundessozialgericht stellt nunmehr klar, dass die genannten Maßstäbe auch für Vertragsärzte mit angestellten Ärzten gelten.

Zwar war der Radiologe selbst bereits länger als drei Jahre im selben Planungsbereich vertragsärztlich tätig gewesen, so dass er für sich kein individuelles Leistungsbudget mindestens in Höhe des Fachgruppendurchschnitts beanspruchen kann. Da der angestellte Arzt in der neu gegründeten Praxis des Klägers aber erstmals in der vertragsärztlichen Versorgung tätig geworden ist, hätte der Honorarberechnung für die vom angestellten Arzt erbrachten Leistungen ein Individualbudget mindestens in Höhe des Fachgruppendurchschnitts zugrunde legen müssen.

BSG, 19.07.2023 – B 6 KA 22/22 R